70 Jahre Frieden und Freiheit
Wie bereits im Vorfeld war auch nach der Entscheidung der Briten, die Europäische Union (EU) zu verlassen, viel von den Folgen die Rede. Fast ausschließlich ging es dabei um die wirtschaftlichen Folgen. Darin zeigt sich ein Schwachpunkt der EU, der mit zum „Brexit“ geführt hat: Letztlich hat die EU es bis heute nicht geschafft, über den Status einer Wirtschaftsgemeinschaft hinauszukommen. Wirtschaftliches Zusammenwachsen und gemeinsame Währung haben nicht zu weiterem politischen Zusammenwachsen geführt – ganz im Gegenteil: Das Bild wird bestimmt von Erbsenzählerei und kleinlichem Geschacher um vermeintliche Einzelinteressen, zuletzt heftig befördert durch zunehmend nationale Tendenzen in einzelnen Mitgliedsstaaten. Dem werden Reformen der Gemeinschaft, wie sie seit dem britischen Referendum noch heftiger angemahnt werden als schon zuvor, nur bedingt entgegenwirken können. Denn das Bild vom Steuergelder fressenden, die staatliche Souveränität einschränkenden und unsinnige Regeln produzierenden Moloch Europa hat sich offensichtlich in den Köpfen vieler Menschen derart verfestigt, dass es schwer zu verändern sein wird. Und solche Reformen – sollte man sich wirklich dazu durchringen – brauchen Zeit.
Was mir deshalb mindestens genauso wichtig scheint wie unbestritten notwendige Reformen, sind Politiker, sind Persönlichkeiten, die das gemeinsame Europa nicht nur verwalten, sondern die dafür brennen; Persönlichkeiten, die die Vision der Gründer verkörpern und auch in der Lage sind, die Menschen dafür zu begeistern. Eine Vision, die 70 Jahre in Frieden und Freiheit ermöglicht hat und damit für eine Erfolgsgeschichte steht, die ihresgleichen sucht. In der Geschichte Europas sah es oft ganz anders aus, und in vielen Teilen dieser Welt tut es das gegenwärtig auch.
Was sind also 70 Jahre in Frieden und Freiheit wert? Auf jeden Fall jegliche Anstrengung, die Konstruktion zu erhalten und zukunftsfähig zu gestalten, die das möglich gemacht hat.
Wolfgang Bullin
