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Abschied hat viele Gesichter

Gespräch mit Schweinfurts Stadtdekan Stefan Mai: Sterben und Tod nicht nur im Totenmonat November ein Thema – Wenn das Requiem nicht mehr automatisch zur Beerdigung dazu gehört – Veränderte Bestattungskultur

Schweinfurt (POW) Die Vielfalt des Lebens hat Schweinfurts Stadtdekan Stefan Mai in den fast 25 Jahren seines priesterlichen Wirkens gesehen: Freudige Anlässe wechseln sich stets ab mit Krisensituationen, mit Sterben und Tod. Die Frage des Umgangs mit Sterben und Tod ist Dekan Mai über den Totenmonat November hinaus ein Bedürfnis. „In der heutigen Gesellschaft spielt Tod kaum eine Rolle. Die Menschen haben ihn aus ihrem Blickfeld verdrängt, sie wollen mit Leiden und Sterben nichts zu tun haben. Meist spielt sich das Ende des Lebens in Heimen oder Krankenhäusern ab“, sagt er. Nur selten werde er zu Sterbenden nach Hause gerufen, dafür um so häufiger ins Krankenhaus.

Für gewöhnlich geht Mai einmal in der Woche in die Krankenhäuser der Stadt, um die Kranken und Sterbenden der Gemeinde zu besuchen. „Viele kennen mich aus der Pfarrei, andere, die kaum zu Gottesdiensten kamen, lerne ich erst dort richtig kennen. Mit der Zeit entsteht ein Vertrauensverhältnis, das den Menschen auf ihrem letzten Weg eine Stütze ist.“ Einige Familien, darunter vor allem Aussiedler, pflegen ihre Angehörigen auch zu Hause, beobachtet Dekan Mai. Diese Familien sind vielfach noch intakt. Ihnen sei wichtig, den kranken Angehörigen beizustehen. „Sie besitzen noch eine große Verabschiedungskultur: der Tote wird daheim gewaschen und zurechtgemacht. Alle Spiegel werden verhangen, und die Angehörigen versammeln sich am Totenbett. Dort wird gebetet und Abschied genommen.“ In der Tendenz gehe dieser Brauch aber mehr und mehr zurück.

Die kirchliche Bindung der Menschen hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Das spürt auch Mai, der seit 13 Jahren in der Pfarrei Maximilian Kolbe am Schweinfurter Deutschhof tätig ist. Die Beerdigung durch einen Pfarrer werde zwar meistens gewünscht, nicht aber ein Requiem für den Verstorbenen. „Die Leute sind mit der Liturgie nicht mehr vertraut. Sie fühlen sich fremd und verzichten deshalb darauf.“ Auch anonyme Bestattungen nähmen zu. „Viele Menschen leben heute isoliert. Die Kinder sind weit weg, und es ergeben sich ganz praktische Überlegungen: Wo soll ich einmal meine letzte Ruhe finden? Wer will und kann mein Grab pflegen?“ Diese Argumente kann Dekan Mai durchaus verstehen, dennoch sieht er die Entwicklung kritisch: „Ein Mensch wird als Original geboren. Er durchlebt Höhen und Tiefen und hat eine ganz individuelle Daseinsgeschichte. Sein Name und sein Leben dürfen nicht einfach so verschwinden.“ Außerdem bestehe insbesondere bei Baumbestattungen oder dem Konzept „Friedwald“ die Gefahr, dass der Tod „so soft und harmlos rüberkommt. Es muss eine Erinnerungskultur geben“, fordert der Dekan. Ein besonderer Spruch, ein individueller Stein für eine individuelle Person – die Gestaltung der Grabstelle sei ein wichtiger Dienst der Angehörigen für ihren Toten.

Die Betreuung der trauernden Angehörigen geht bei Dekan Mai auch über den konkreten Sterbefall und die Beerdigung hinaus. Die meisten Menschen trügen lange und schwer am Verlust eines geliebten Menschen. Für jene gibt es in der Stadt Schweinfurt eine eigene Trauerpastoral. Das ökumenische Konzept sieht die Betreuung der Trauenden durch Seelsorger in Gesprächskreisen und Trauergottesdiensten vor. Der Leiter des Gesprächsladens Schweinfurt, Robert Bundschuh, und die Ehe-, Familien- und Lebensberatung bilden zudem auch Trauerhelferinnen und -helfer aus. Diese Ehrenamtlichen stehen gemeinsam mit dem hauptamtlichen Seelsorgepersonal Trauernden bei.

Dekan Mai wünscht sich wie viele andere Seelsorger, dass das Thema Tod stärker ins Bewusstsein der Menschen dringt. Das Stadtdekanat Schweinfurt veranstaltete deshalb im vergangenen Jahr eine Reihe mit dem Titel „Stunden kalter Schweiße“. „Mit Predigten, Lesungen und anhand von Kunstwerken von Willi Grimm haben wir versucht, den Menschen zu zeigen, dass der Tod viele Gesichter hat und dass er zum Leben gehört. Heute gibt es vielfach keine Rituale, keine Muster mehr. Wir müssen sie erst wieder finden.“

Aber auch für jemanden wie Dekan Mai, der mit Sterben und Tod vertraut ist, sind Besuche bei Sterbenden keine Routine: „Ich weiß dann oft gar nicht, was mich erwartet, wie der Zustand des Kranken ist; wie gefasst oder verwirrt die Familie ist. Auf dem Weg bete ich zu Gott um die richtigen Worte, um den richtigen Ton.“ Mai versucht, den Sterbenden auf dem letzten Weg zu begleiten und ist froh, wenn auch Angehörige dem Sterbenden in den letzten Stunden beistehen. „Denn der größte Trauerhelfer ist, wenn man am Krankenbett dabei war, wenn man dem geliebten Menschen beigestanden hat und ihm noch einmal sagen konnte, wie gern man ihn hat, was man an ihm liebt, was man ihm verzeiht. Das hilft dem Sterbenden auch ‚zu gehen’“. Dieses „Hinübergehen“ in den Tod, die Kunst des Sterbens, wie es das Mittelalter nannte, müsse ein Leben lang eingeübt werden, nicht erst auf dem Krankenlager. Wenn man alt werde, müsse man das Loslassen üben: die gewohnte Umgebung verlassen und vielleicht in ein Heim umziehen, in dem man besser betreut werden kann. „Man muss versuchen, alles zu bereinigen, zu besprechen und zu regeln, was nötig ist.“

Und wie sieht es bei Dekan Mai selbst aus? Für den eigenen Tod wünscht er sich, „dass ich noch bei vollem Verstand ein paar Sätze sagen kann und die Menschen um mich weiß, die mir im Leben wichtig waren. Es wäre schön, wenn ich noch einmal Lieder oder Texte hören könnte, die mich in meinem Leben getragen haben. Ich hätte gern die Chance, mich wahrlich zu verabschieden. Wenn man wie Max Frisch fragt: Hast du Freunde unter den Toten?, und dies bejahen kann, dann stirbt es sich leichter. Und ich habe Freunde, die mir schon vorausgegangen sind.“

(4706/1678)

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