Liebe ehrwürdige Schwestern! Schwestern und Brüder im Herrn!
Es ist schon eigenartig: In der Einladung zu diesem Gottesdienst heißt es: „Verabschiedung der Armen Schulschwestern – aus diesem Anlass laden wir Sie zum Festgottesdienst ein“. Ist dieser Vorgang geeignet, einen Festgottesdienst zu halten? ich meine: mit Recht: Bei aller Wehmut und bei allem, was uns zu Herzen geht, beim Weggang der letzten Armen Schulschwestern aus Ernstkirchen überwiegt doch tiefe, tiefe Dankbarkeit. Zwar geht nach mehr als 150 Jahren etwas zu Ende, was in dieser Zeit zum kirchlichen und gemeindlichen Leben zu Schöllkrippen/Ernstkirchen gehörte, aber es überwiegt die Dankbarkeit für das, was die Gemeinschaft der Armen Schulschwestern gegründet, aufgebaut und geführt hat. Dieser Festgottesdienst ist ein Dankgottesdienst, gerade weil wir alle spüren: Solches Wirken im Geist des Evangeliums ist nicht selbstverständlich. Wir merken gerade in solchen Zäsuren einer lebendigen Einrichtung, wie wichtig und wertvoll die Impulse waren, die vor 150 Jahren hier gesetzt und umgesetzt wurden. Wohl hat die Zeitung Recht, die schreibt: „Die Schwestern, die praktisch rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche zur Verfügung standen, zu ersetzen, wird für die Stiftung ‚Haus Mirjam‘ ganz so leicht allerdings nicht sein“. Aber gerade diese Tatsache, dass hier am Ort versucht wird, das geistliche, menschliche, pädagogische Anlegen der ehemaligen „Rettungsanstalt für Mädchen“ fortzusetzen, braucht unser Gebet, unsere engagierte Mitsorge. Den Schwestern fällt das Weggehen-Müssen leichter, dass hier im Haus Mirjam nicht die Lichter ausgemacht und die Türen abgeschlossen werden. Ich möchte aber doch gerade das Weggehen der Armen Schulschwestern von Ernstkirchen in einen größeren Zusammenhang stellen und Hoffnung, aber auch Bedenken zum Ausdruck bringen:
Hoffnung:
Nein – ich kann mir nicht vorstellen, dass mit dem Weggang der Schwestern auch der gute Geist dieser Einrichtung verschwindet. Im Gegenteil: Das Wirken der Ordensfrauen wird nicht bloß eine Sache der Ortshistoriker sein, sondern bleibt in der Erinnerung dieser Gemeinde als stille, bleibende Verpflichtung. Wir dürfen manche Entwicklungen und Veränderungen nicht einfach emotionslos hinnehmen. Wir müssen auf neuen Wegen das ureigene Ziel und Anliegen verwirklichen.
Wir leben in einer unglaublich starken Veränderung des katholischen Milieus, der äußeren Lebenswirklichkeit unserer Kirche in Deutschland. In zwanzig Jahren stehen viele unserer Frauen- und Männerklöster leer – in unserem Land. Nicht so in anderen Ländern der Erde. Es verschwinden aus dem öffentlichen Leben unserer Kirche die Frauen und Männer, die radikal mit ihrer Lebensentscheidung ihr Denken, Handeln, Lieben auf die Person Jesus Christus ausgerichtet haben. Alle Christen haben ja auf ihre Weise Salz der Erde zu sein, haben die Räte des Evangeliums auf ihre Weise zu leben, vor allem ihre radikale Christusbezogenheit. In einem Punkt und Vorgang scheint es den sog. Christen in der Welt zu gelingen, die Impulse der Orden und Ordensgemeinschaften fortzuführen und lebendig zu erhalten: im sozialen und karitativen, im schulischen und pädagogischen Bereich. Großartiges geschieht in unserem Land durch Menschen in kirchlichen und staatlichen Bereichen. Wir dürfen auch einmal festhalten: Damals, als Staat und Gesellschaft den Mädchen und Frauen im schulischen und beruflichen Bereich jede Hilfestellung verweigert haben, waren es Ordensfrauen und andere kirchliche Persönlichkeiten, die schon damals handelten und wirkten, was für uns heute von jeder staatlichen Behörde erwartet wird.
Doch man muss Sorge haben, dass auf die Dauer doch die persönliche Zuwendung besonders zu den hilfsbedürftigen Menschen bei vielen Einrichtungen nachlässt, wenn die Kraft zum Helfen und Beistehen nicht aus den tiefen und klaren Quellen der Christusbezogenheit kommt.
Und das ist die Hoffnung in dieser Stunde:
Das Haus Mirjam bleibt bestehen. Es bleibt Euer Geist, liebe Abschied nehmenden Schwestern, lebendig. Alle Schwestern, die hier wirkten, werden auf Erden und im Himmel mitbeten, dass hier junge Menschen den Geist Jesu, die Liebe Jesu erfahren und erleben.
Es wäre für unsere kirchliche, katholische Lebenserfahrung, für die kommenden Generationen, ein großer Verlust, wenn junge Menschen nicht betende Vorbilder hätten. Denn man ist nicht nur dann Christ, wenn man dieses oder jenes Gebot beachtet. Man ist Christ, wenn man einen ganz radikalen, bis in die Wurzeln des Seins und des Lebens gehenden, personalen Bezug zu Jesus hat. Jesus, der Sohn Mariens und des ewigen Vaters, ist unsere Religion. „Folget mir nach!“ – das ist des Christen kennzeichnende Haltung und Lebensaufgabe. Es ist daher leichter, diese personale Beziehung auch als Laie, als Vater und Mutter, Eheleute oder Alleinstehende, als Mensch in der Welt sozusagen zu leben, wenn man lebendige Vorbilder einer solchen Christusausrichtung erlebt an lebendigen Menschen. Die Verbürgerlichung und Verweltlichung der Christen ist schon von Anfang an eine Gefahr für die Christen, die sich an das Weltliche nicht ganz anpassen dürfen. Das Mönchstum kam in der Kirche auf, als die Märtyrerzeit in der römisch-antiken Welt mit der konstantinischen Wende vorbei war. In dieser Stunde der Kirche suchten ernsthafte und prophetisch schauende Christen die radikale Christusbezogenheit im mönchischen Leben zu verwirklichen.
Wir leben in einer Zeit, da wir seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgefordert sind, unsere Berufung in Taufe und Firmung gerade auch in unserer Welt zu leben. Die Väter des Konzils haben uns bewusst gemacht, dass wir alle – und nicht bloß die Priester und die gottgeweihten Menschen, die Ordensleute, die Welt mit dem Geist Christi durchdringen müssen.
Ich denke, dafür haben die nicht nur ihre Unterschrift gegeben, die die neue Stiftungsurkunde unterschrieben haben. Sie fühlen sich geradezu angesichts von 150 Jahren Eueres Wirkens verpflichtet, im gleichen Geiste dieses Haus Mirjam zu führen. Daher kann man nur die ganze Pfarrgemeinde Schöllkrippen und Nachbargemeinden bitten: Setzt eueren Ehrgeiz, euere Kraft ein, dieses Haus mitzutragen auf je euere Weise. Es wäre unseren scheidenden Schwestern das schönste Geschenk, wenn sie erfahren und miterleben dürften, wie dieses Haus nach ihrem Weggang weiterhin im Geiste der Gründerin, der seligen Mutter Gerhardinger, geführt wird.
Was war der Gründungsimpuls vor 150 Jahren? Zweck der Anstalt ist das Heranziehen von guten Christen, eifrige ihrer Kirche, mit Leib und Seele anhängige Katholiken zu werden“. Wir erkennen, dass die Erziehungsmethoden sehr zeitgebunden waren und würden heute nicht mehr alle Methoden übernehmen, aber die Sorge für die jungen Menschen bleibt. Ja – dieses Haus muss in neuem Sinn eine „Rettungsanstalt“ bleiben; denn neue Gefahren, Verführungen, und Gefährdung brauchen neue Antworten und Pädagogik. So kann man – bei allem Wehmut über den Weggang der Schwestern – doch Gott danken, dass sich hier Menschen gefunden haben, das Haus weiterzuführen. Das ist nicht selbstverständlich. Das wollen wir auch dankend und bittend vor Gott bringen. Amen.
(3606/1217)