Liebe Hörerinnen und Hörer!
Gestern hat Papst Benedikt XVI. im Rahmen einer ökumenischen Feier das große Paulusjahr eröffnet. Das Gebetstreffen in Rom war der Auftakt zu vielen Gottesdiensten und Gedenkveranstaltungen, in denen weltweit an die Bedeutung des Apostels erinnert werden soll, der vor 2000 Jahren geboren wurde. Paulus hat nicht nur die junge Kirche entscheidend geprägt, sondern steht wie kein zweiter für die Verbreitung des christlichen Glaubens in der damals bekannten Welt. Sein Beiname „Völkerapostel“ macht dies deutlich. Bloße Erinnerung aus dem geschichtlichen Abstand heraus wäre allerdings zu wenig; seine Botschaft selbst soll vielmehr verinnerlicht werden und uns neu nahe kommen. Das gelingt nur, wenn wir gemeinsame Grunderfahrungen entdecken, die uns über die Verschiedenheit von Sprache, Kultur und Zeit hinweg mit Paulus und seiner Glaubenswelt verbinden. Für mein Empfinden lassen sich solche Zugänge, die uns heute Paulus näher bringen, über drei Einsichten gewinnen: Ich bin gerufen – ich bin geheilt – ich bin geliebt. Ich lade Sie ein, dass wir uns zusammen auf eine Art Spurensuche im Glauben machen, um Paulus unter diesen Aspekten zu begegnen.
1. Ich bin gerufen – die entscheidende Wende im Leben des Völkerapostels hat sich bis in unsere heutige Umgangssprache hinein erhalten, wenn einem Menschen, der in wichtigen Fragen seine Meinung geändert hat, eine Wandlung vom Saulus zum Paulus bescheinigt wird. Aber die Berufung des Paulus besteht nicht bloß in einer Änderung früherer Ansichten. Es geht vielmehr um radikal neue Einsichten, die ihn vom Christenverfolger zum Christusverkünder werden lassen. Als er nach Damaskus reist um die Anhänger Jesu dort aufzuspüren, hat er ein einschneidendes Erlebnis, das er nur als Begegnung mit Christus und letztlich als Ruf Gottes deuten kann. In seinem Brief an die Gemeinden in Galatien schildert er diese Erfahrung später so: „ Ihr habt doch gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe und ihr wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferung meiner Väter ein. Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, ... da hörten sie (die Gemeinden Christi in Judäa): Er, der uns einst verfolgte, verkündet jetzt den Glauben, den er vernichten wollte“ (Gal 1, 13-16; 23-24).
Die Wende im Leben des Paulus ist also keine willkürliche Weichenstellung eines Menschen, der radikal mit seiner Vergangenheit bricht. Paulus weiß auch später sehr genau um seine Prägung durch den jüdischen Gottesglauben; deshalb ringt er auch ein Leben lang um Zugänge zu seinem Volk. Aber er spürt: Das Gesetz und die religiöse Tradition Israels haben ihre unbedingte Vorrangstellung verloren; in ihnen erkennt er jetzt Wegweiser zum Evangelium. Den alles entscheidenden Rang hat nun die frohe Botschaft von Jesus Christus: im Glauben an ihn liegt die Erfüllung des Lebens. Diese persönliche Überzeugung ist bei Paulus untrennbar mit seiner Berufung zum Zeugen für andere verbunden: Der Glaube an Jesus ist kein Privatbesitz, sondern ein Geschenk zum Weitergeben. Das Evangelium darf nicht in einem Winkel versteckt bleiben; Jesus ist für alle Menschen gekommen. Der Horizont des Glaubens ist die ganze Welt. So wird Paulus zum Missionar, der viele Gemeinden gründet und unzählige Menschen im Glauben bestärkt. Ohne Brüche und Kontroversen ging das freilich nicht: Nach eigenem Bekunden begegnete man ihm oft mit Misstrauen, weil seine Bekehrung manchen verdächtig vorkam. Im eigenen Volk stieß er auf Unverständnis und radikale Ablehnung. Immer wieder muss er sich in seiner Tätigkeit nach zwei Richtungen abgrenzen: sowohl gegen radikale Gesetzesverfechter, die der Freiheit des Glaubens nicht trauen, wie gegen abgehobene Geistschwärmer, die Freiheit mit Willkür verwechseln. Schließlich leidet Paulus auch unter dem Zwiespalt seiner Person: Man wirft ihm vor, seine Verkündigung sei aus der Ferne zwar kraftvoll, sein persönliches Auftreten hingegen enttäuschend (2 Kor 10,10). Auch Konflikte mit Mitarbeitern, Krisen und Krankheiten bleiben ihm nicht erspart. Aber gerade hier erfährt er, dass Gerufensein durch Gott sich im Gehaltensein im Glauben bewährt. Deshalb kann Paulus an die Gemeinde in Korinth schreiben: „Den Schatz (des Glaubens) tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet“ (2 Kor 4,7-9).
„Ich bin gerufen“ – diese spannungsreiche Grunderfahrung im Leben von Paulus kann durchaus Maßstab für unser Glaubensbemühen sein. Gewiss werden sich die Wenden in unserem Leben nicht so spektakulär vollziehen wie bei ihm – aber die entscheidende Einsicht, dass die Begegnung mit Jesus einen Ruf zur Umkehr enthält und persönliche Überzeugungen weckt, die uns zu Glaubenszeugen für andere machen, gilt genauso für unsere Berufung. Ähnlich wie Paulus spüren wir, dass sich der Glaube nur bewahren lässt, wenn er sich immer neu im Leben bewährt. Von Paulus können wir auch lernen, dass Berufung zum Glauben an Jesus Christus das Leben zwar nicht unbedingt einfacher, aber gewiss tragfähiger macht, weil wir uns in Spannungen, Krisen und Schwächen von ihm gehalten wissen dürfen. „Ich bin gerufen“ - in dieser Erfahrung des Paulus, dass der Glaube keine Einbildung darstellt, sondern aus einer Initiative Gottes kommt, der auf uns Menschen zugeht und uns anspricht, wissen wir uns über alle zeitlichen Abstände hinweg mit ihm verbunden.
2. Ich bin geheilt – auch über diese Erfahrung lassen sich Gemeinsamkeiten mit Paulus entdecken. Von unseren heutigen Voraussetzungen her scheint sogar eine neue Offenheit da zu sein: „Heilung“ hat sich für viele Menschen fast zu einem Zauberwort entwickelt. Wer hofft nicht auf verbesserte Heilungschancen bei körperlichen Krankheiten und seelischen Störungen? Diese Tendenz geht sogar soweit, dass unter Berufung auf neue Heilungsperspektiven Eingriffe in das menschliche Leben schon längst nicht mehr tabu sind, wie bei uns in Deutschland erst kürzlich in der Debatte um die Forschung mit embryonalen Stammzellen deutlich wurde. Wenn die erhofften Heilungschancen nur groß genug sind, ist scheinbar alles gerechtfertigt, selbst die Vernichtung von Leben. Alles ist gerechtfertigt – unbemerkt sind wir damit schon bei einem Schlüsselwort bei Paulus gestoßen. „Rechtfertigung“ ist bei ihm ein zentraler Gedanke, um den seither Generationen von Theologen gerungen und sich dabei oft genug gegenseitig bekämpft haben. Umso erfreulicher ist es, dass sich nach intensiven Gesprächen zwischen der katholischen Kirche und Vertretern der aus der Reformation entstandenen Gemeinschaften Übereinstimmungen entwickelt haben, die das Zeugnis des Apostels für die Gegenwart neu erschließen können. Entscheidend ist dabei: Rechtfertigung hat mit Heilung zu tun. Das setzt für Paulus voraus, dass zunächst die Widersprüche und Verwundungen im Leben ehrlich und schonungslos aufgedeckt werden. Im Römerbrief ist die Rede von einer inneren Zerrissenheit des Menschen, die er selbst an Leib und Seele erfahren hat. Er schildert den Zwiespalt zwischen Wollen und Tun, zwischen Vernunft und Affekt anhand seiner eigenen Person. Er fühlt sich innerlich gespalten zwischen dem innersten Kern, der das Gute will, und der Tendenz zu sündigen und schuldig zu werden. Er spricht von der Sünde als einem Sog, einer Macht, die in ihm wohnt und sein Leben im Griff hat. „Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde“ (Röm 7, 19-20). Diese Sätze wirken wie ein Eingeständnis übermächtiger Selbstentfremdung. Tiefenpsychologen würden hier von einem Schatten sprechen, der mit Ohnmachtserfahrungen verbunden ist. Es gibt nun verschiedene Formen der Auflehnung gegen diese Ohnmacht; eine davon kann eine übersteigerte Gesetzes- und Wertegerechtigkeit sein, wie sie Paulus in seiner Zeit wahrnimmt. Diese Haltung, durch spektakuläre Aktionen und auffälliges Verhalten stets neu sich selbst, anderen und schließlich Gott etwas beweisen zu müssen, bringt aber einen dauernden Leistungsdruck mit sich und führt letztlich zu einer ständigen Überforderung, welche diese Ohnmachtserfahrung nur noch verstärkt. Eine andere Form des Reagierens auf die innere Gespaltenheit ist die Selbstentwertung: Es gibt Menschen, die an ihrem Versagen zerbrechen und sich bis zur völligen Zerstörung ihres Selbstwertgefühls dauernd unbarmherzig verurteilen, weil sie ihrem Idealbild nicht entsprechen. Diesen Mechanismus der Selbstentwertung erlebe ich nicht selten bei engagierten Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die darunter leiden, dass sich ich ihrem Leben Verkündigung und Verhalten nicht decken. Paulus liefert nun keine Patentrezepte, aber bietet hilfreiche Einsichten, um diese Situation der Zerrissenheit im Glauben zu bestehen: Er hält seine Gespaltenheit Jesus Christus hin, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass er allein ihn davon heilen kann. Dies geschieht aber nicht durch Verdrängen von Versagen und Schuld, sondern dadurch, dass wir erlöst mit ihr umgehen können: „Rechtfertigung“ bedeutet, dass Gott unserem Leben eine neue Richtung gibt, indem er gestörte Gemeinschaft heilt. Rechtfertigung besagt auch, dass die Spannung zwischen Wollen und Tun keine unentrinnbare Ausweglosigkeit darstellt, sondern immer wieder Neubeginn und Versöhnung möglich sind. „Heilung“ bedeutet in dieser Perspektive, dass die Schatten der Schuld zwar nicht aus unserem Leben weichen, aber dass sie im letzten keine zerstörerische Kraft mehr haben, weil Gottes heilendes Wirken sich stärker erweist als die Macht der Sünde. Heilung geschieht im Glauben eben niemals dadurch, dass anderes Leben auf der Strecke bleibt oder gar vernichtet wird, wie es heute als Preis des Fortschritts im Kauf genommen wird. Im Gegenteil: Paulus hält überhaupt nichts von einem Heilsegoismus auf Kosten anderer – Erlösung ist keine Privatsache, sondern bezieht die ganze Welt und die gesamte Schöpfung mit ein: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“, schreibt er im Römerbrief (Röm 8,21). Heilwerden im Glauben und Weltverantwortung sind keine Gegensätze, sondern bedingen und durchdringen einander. Auch hier zeigt sich, dass persönliche Überzeugung und weltweites Zeugnis zusammengehören. Freilich weiß Paulus auch, dass er gerade als Christ, der aus der Erfahrung des eigenen Geheiltseins anderen helfen kann, mit ihren Lebensverwundungen umzugehen, keinen Grund zu falscher Selbstsicherheit hat. Schonungslos offen schreibt er an die Philipper über das neue Leben in Christus: „Nicht, dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus ergriffen worden bin“ Phil 3,12). „Ich bin geheilt“ – auch diese Erfahrung kann bei der Suche nach Annäherungen an die Bedeutung von Paulus für unser Leben äußerst wichtig und hilfreich sein.
3. Ich bin geliebt – in diesem Satz steckt im Grunde die zentrale Botschaft des Apostels. Was über Gerufensein und Geheiltwerden als lebensprägende Erfahrungen gesagt wurde, verdichtet sich in diesem Satz. „Ich bin geliebt“ – damit ist jedoch keine oberflächliche Stimmung gemeint, die rasch wieder verfliegt und Widrigem nicht standhält. In der Begegnung mit Jesus, die für Paulus im wahrsten Sinn des Wortes umwerfend war, hat er vielmehr die Erfahrung gemacht, wie weit Gottes Liebe geht: Sie ist bedingungslos, weil sie im Kreuz Jesu Schuld und Tod nicht ausgrenzt, sondern überwindet. In der Auferstehung des Gekreuzigten zeigt sich, dass diese grenzenlose Liebe Gottes sich nicht nur an Jesus erfüllt hat, sondern als Durchbruch in ein neues Leben alle Menschen erfassen will. Paulus wird nicht müde, in immer neuen Zugängen und Argumentationswegen diese Erfahrung zu bezeugen. So schreibt er an die Gemeinde in Rom: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist. ... Gott hat seine Liebe für uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm 5,5 und 8). Über hundertmal taucht das Wort „Liebe“ in den Paulusbriefen auf. Aber mehr als die bloße Wortstatistik zählt die Bandbreite der Erfahrungen, die hinter dieser häufigen Nennung steht. Gottes Liebe, die den Menschen ergreift, hat gewissermaßen eine äußere und eine innere Dimension. Als Initiative Gottes, der die Welt nicht sich selbst überlässt, sondern in Jesus unser Leben teilt, kommt diese Liebe von außen und kann nicht einfach als Projektion menschlicher Sehnsucht erklärt werden. Denn eine Liebe, die Leiden und Tod auf sich nimmt, ist rein menschlich unausdenkbar. Aber zugleich ist diese Liebe Gottes eine Macht, welche die Herzen der Menschen ergreift und sie im Inneren verwandelt. Dies ist gemeint, wenn Paulus davon spricht, dass wir als neue Menschen in Christus leben können. In der Begegnung mit ihm geht uns auf, dass wir keine Vorleistungen erbringen müssen, damit Gott uns annimmt – seine Liebe ist im besten Sinn zuvorkommend. Weil wir durch die Liebe Christi erlöst sind können wir ge-löster leben. Dies gilt gerade für die heutige neue Suche nach Sinn, auf die sich viele Menschen begeben. Sie möchten intensiver leben, merken dabei aber nicht, dass sie sich gerade in diesem Bemühen einem neuen Leistungsdruck aussetzen, weil sie geistliche Erfahrungen verzwecken: Spiritualität soll dann helfen, Wohlbefinden und Ansehen zu steigern oder einfach neue Stärken zu entwickeln. Nicht dass das alles falsch wäre – aber genügt das schon? Echte Spiritualität ist immer Leben aus dem Geist Gottes und damit Leben aus der Liebe Jesu Christi – und diese Liebe ohne Vorbedingungen ist die entscheidende Grundlage, auf der wir unser Leben aufbauen können. Solches Geliebtsein durch Gott ermöglicht neues Selbstverständnis des Menschen, führt aber zu keinem Wechsel der Persönlichkeit. Paulus spürt dies wieder schmerzhaft an sich selbst. Die Begegnung mit Jesus verändert ihn, aber er wird kein anderer. Auch nach seiner Bekehrung bleibt er hin und her gerissen zwischen Freiheit und Ordnung, Begeisterung für den Glauben und Wut auf Andersdenkende, die manchmal fast zwanghafte Züge annimmt. In seiner psychischen Struktur bleibt Paulus der gleiche. Seine Veränderung besteht darin, dass er nicht mehr auf sich selbst zurückgeworfen ist, sondern durch die Liebe Christi in aller Schwachheit und Vorläufigkeit zum Helfer im Glauben für andere werden kann. Anders gesagt: Die Begegnung mit Christus lässt uns nicht einfach stärker und freier vor den Menschen werden. Sie kann vielmehr in schmerzhafter Weise falsche Erwartungen durchkreuzen, etwa jene, als ob der Glaube automatisch ausgeglichener und unempfindlicher machen müsste. Im Gegenteil, manches Versagen und manche Schwäche wird uns in der Begegnung mit Jesus erst so richtig bewusst. Entscheidend ist, wie wir mit solchen Erfahrungen umgehen. Ich kenne Christen, die darunter leiden, dass sie anderen mit voller Überzeugung einen Weg verkünden, auf dem sie selber nur stolpernd vorankommen, weil sie unter der inneren Unruhe und unter der eigenen Zwanghaftigkeit leiden. Für solche Menschen kann die Erfahrung des Apostels Paulus befreiend sein: Unsere Botschaft ist nicht verlogen, nur weil wir selbst nicht perfekt sind. Entscheidend ist, dass wir uns von Gott geliebt wissen, dass wir deshalb frei von Maßstäben rein menschlichen Leistungsdenkens sind und aus dieser Gewissheit heraus mit unserer ganzen Person, zu der Stärken und Schwächen gehören, für das eintreten, wovon wir überzeugt sind. Die Erfahrung, dass ich von Gott geliebt bin, bewahrt mich vor Überheblichkeit und kann helfen, andere Menschen auf Augenhöhe wahrzunehmen. Dadurch werden Fehltritte und schuldhaftes Verhalten nicht zugedeckt, aber sie erscheinen in einem neuen Licht, nämlich in der Perspektive von Gottes Barmherzigkeit, die uns immer wieder neue Wege eröffnet. So wird die Offenheit für unsere Mitmenschen zur Konsequenz des Geliebtseins durch Gott und zum Maßstab für einen konsequenten Glauben. Wenn Paulus an die Galater schreibt: Es „kommt darauf an, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist“ (Gal 5,6), dann ist das eine Ermutigung, das eigene oft begrenzte und im Alltag oft unauffällige Glaubenszeugnis ins Licht der Liebe Gottes zu stellen – dann bekommt es neuen Glanz und kann etwas ausstrahlen.
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Unsere Spurensuche im Leben des Apostels in dieser Morgenfeier geht zu Ende. Abgeschlossen ist sie jedoch nicht; meine Gedanken wollten Ihnen nur Mut machen, selber in den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte auf Entdeckungsreise zu gehen. Ich wünsche Ihnen, dass sich dabei Einsichten in den Glauben und Aussichten auf das Leben miteinander verbinden. Schließen möchte ich mit einer originellen Idee. Nachdem es so viele Briefe von Paulus gibt, bin ich kürzlich in einem Meditationsheft auf einen Brief an ihn gestoßen, der schon fast wie ein Gebet wirkt. Ich möchte es Ihnen als Anregung mitgeben, auch auf diese Weise mit dem Völkerapostel in Kontakt zu treten. Es heißt dort (Wolfgang Bader, Ein Mensch und seine Krisen. Vier Wochen mit dem Apostel Paulus. Verlag Neue Stadt München-Zürich-Wien 2008, S. 62 f):
Lieber Paulus,
über deinem bewegten Leben könnte als Überschrift ein Wort aus dem ersten Korintherbrief stehen: „Die Liebe ermüdet nie.“ Nicht nur trotz aller Schwierigkeiten, sondern gerade in aller Not wurdest du niemals müde, ein „Mitarbeiter Gottes“ zu sein, ein Apostel Christi und seines Evangeliums, ein „Hirte“ und „Diener“ seiner Gemeinden, ein „Helfer zu ihrer Freude“.
Wie oft hast Du in Deinen Briefen Gott gedankt für die Menschen, welche die Gabe des Glaubens und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes angenommen haben! Was wir Dir verdanken, ist uns kaum bewusst. Es ist wie bei der Luft oder der Gesundheit: wir entdecken ihre Bedeutung erst, wenn sie fehlen. Aber auch wenn wir uns bemühten, wir können uns nicht vorstellen, wie das Christentum wäre ohne Dich, ohne Deine Talente, aber auch ohne Deine Krisen – von Damaskus bis Rom.
Erlaube uns zum Schluss, dass wir die Anfangsworte aus Deinem ersten Brief an die Thessalonicher übernehmen und an Dich richten: „Wir danken Gott für Dich, wenn wir in unseren Gebeten an Dich denken; wir erinnern uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk Deines Glaubens, an die Opferbereitschaft Deiner Liebe und an die Standhaftigkeit Deiner Hoffnung auf Christus, unseren Herrn.“
In dieser Hoffnung sowie im Glauben und in der Liebe bestärke uns der barmherzige und treue Gott: + Der Vater + und der Sohn + und der heilige Geist. Amen.