Würzburg (POW) Für das Verständnis des politischen Bewusstseins der Spätantike liefern die Schriften des Kirchenvaters Augustinus wichtige Orientierungspunkte. Das unterstrich der Kernvortrag des Augustinerpaters Professor Robert Dodaro, Präsident des Istituto Patristico Augustinianum in Rom, beim Würzburger Augustinus-Studientag. Er verwies auf die Briefe, die Augustinus im Amt des Bischofs von Hippo an den römischen Prokonsul Macedonius in Afrika schrieb, und ihre auch heute aktuelle Auseinandersetzung mit der Frage nach der Legitimität der Todesstrafe. Dodaros These, Augustinus habe erstmals eine Theorie des politischen Gewissens entwickelt, stützt sich auf zahlreiche Textstellen des Briefwechsels, in denen Augustinus versucht, die Kategorien des Neuen Testaments im Gewissen seines Briefpartners zu verankern. Der Einzelne soll den eigenen ethischen Horizont durch Gottes Liebe erweitern lassen und sich auf diese Weise von einem auf zeitliche Güter eingeengten Blickfeld lösen.
Aus Dodaros Sicht zeigt gerade der Briefwechsel mit Macedonius, dass es Augustinus fern lag, festgelegte Antworten auf soziale oder politische Fragen zu geben. Statt moralischem Dogmatismus oder Relativismus liege der Akzent auf der Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen. Die Gnade soll das Gewissen des Politikers formen, nicht die kirchliche Autorität. Macedonius stelle sich daher die Aufgabe, selbst zu beurteilen, wie er sein Amt im Geist des Evangeliums ausüben soll und die Vorgaben der Heiligen Schrift, ihre Forderungen nach Liebe, Barmherzigkeit und Versöhnung in die berufliche Praxis übertragen kann. Andererseits sei Augustins eigene Haltung gegenüber der Todesstrafe durchaus ambivalent: Sein Appell um Gnade für einen Verurteilten beruhe nicht auf grundsätzlicher Ablehnung, im Gegenteil: als effizientes Abschreckungsmittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung billige er sie grundsätzlich und befürworte sie in anderen Fällen sogar mit Nachdruck, sagte Dodaro.
Wie gravierend sich das Streben nach Tugend von Christen und Nichtchristen unterscheidet, legte der Würzburger Professor Michael Erler dar. Vor allem der Friedensbegriff sei bei Augustinus nicht von der jenseitigen Welt zu trennen. Zwar habe der Kirchenvater in „De civitas Dei“ kein politisches Konzept vorgelegt, doch gebe seine Friedenstheorie ausreichend Aufschluss über seine Sicht der Politik, um ihn von seinen Vorgängern im Bereich der paganen Philosophie – auch den Sophistikern – abgrenzen zu können. Friede sei für den Kirchenvater mehr als die Abwesenheit von militärischer Bedrohung. Wahrer Frieden bleibe dem Jenseits vorbehalten. Da das Streben nach Frieden allen Menschen gemeinsam sei, könne Frieden als Ziel der menschlichen Gemeinschaft vorausgesetzt werden, auch wenn die Vorstellungen von Frieden unterschiedlich seien. Erler ging auch der pikanten Frage nach der Schnittmenge zwischen der Lehre Augustins und jener Epikurs nach. Beide, so seine Schlussfolgerung, betrachten den Vertrag als Mittel, um das natürliche Streben des Menschen nach Frieden beziehungsweise Genuss zu fördern.
Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner zwischen Augustinus und Epikur führte die Teilnehmer zu einer angeregten Diskussion, die Christoph Müller moderierte. Der Neutestamentler Bernhard Heininger und der Historiker Adolf Martin Ritter beleuchteten in ihren Vorträgen über die politische Theologie im Markus-Evangelium (Heininger) und das Verhältnis von Religion und Politik im frühchristlichen Denken bis zu Augustinus (Ritter) das historische und politische Umfeld der Christen in der Antike. Der Heidelberger Historiker Jürgen Miethke versuchte, in seinem Beitrag über die Augustinereremiten anhand der Schriften des Aegidius Romanus und anderer Vertreter der Augustinerschule nachzuweisen, dass sich der Orden im späten Mittelalter von den Positionen des heiligen Kirchenvaters weit entfernt habe. Miethkes knappes Urteil über die Augustinereremiten jener Zeit: „Brave Papalisten“, die zum politischen Instrument der Kurie geworden seien, um den universalen Herrschaftsanspruch des Papstes ideologisch zu untermauern.
Der Vorsitzende des Vereins Zentrum für Augustinus-Forschung (ZAF) und Würzburger Bürgermeister Dr. Adolf Bauer erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an die erfolgreiche Anbindung des ZAF an die Julius-Maximilians-Universität und dankte den Referenten und den Mitgliedern des Augustinerordens für die Vorbereitung des Studientages. Die Einführung in das Rahmenthema übernahm der Leiter des ZAF, Professor Cornelius Petrus Mayer OSA.
Eine Publikation der Vorträge ist vorgesehen. Nähere Informationen beim Zentrum für Augustinusforschung, Telefon 0931/3097307, Internet www.augustinus.de.
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