Würzburg (POW) Schnell lässt Werner Tiki Küstenmacher das Kragenmikrofon wieder abschalten. Aus den Lautsprechern dröhnt ein Brummen, dass seine Stimme nicht zu verstehen ist. „Es ist wichtig, die Selbstbestimmung wieder zu finden“, räsoniert der Journalist, Theologe und Bestsellerautor im dunkelblauen Nadelstreifenanzug. Rund 120 Mönche, Ordensfrauen und Schulleiter bei der Jahrestagung der Vereinigung katholischer Schulen in Ordenstradition haben ihn in das Würzburger Exerzitienhaus Himmelspforten eingeladen. Der Mitautor des erfolgreichen Sachbuchs „Simplify your life“ spricht über die Vereinfachung des Lebens als spirituellen Trend.
Dank der kleine Panne zu Beginn seines Vortrags ist er gleich mitten im Thema: „Meist sind es die Sachen, die heute das Leben kompliziert machen.“ Am Beispiel des Schreibtischs erläutert Küstenmacher, untermalt mit seinen launigen vorgefertigten oder live gezeichneten Bildern, was die Zuhörer nur zu gut zu kennen scheinen: Je mehr sich darauf sammelt, desto unübersichtlicher wird es. „Ein aufgeräumter Schreibtisch macht auch etwas mit mir selbst“, lautet das Lob der Ordnung. Falls sich einmal Stapel bilden, lautet Küstenmachers Rat: ab in den Schrank damit. „Dann sehen sie ihn nicht dauernd.“ „Der war wohl schon bei uns im Direktorat“, raunt ein Zuhörer seinem Nachbarn zu. Nicht benutzte Altlasten wie Zeitschriften vergleicht Küstenmacher mit Fäden, die den Menschen an die Vergangenheit binden und ihn an der Zukunft hindern. „Nur 30 Prozent der Kleidung im Schrank wird regelmäßig getragen, der Rest wartet dort auf ein Wunder.“
In bester Tradition seiner Kirche bemüht der ehrenamtliche evangelische Pfarrer Küstenmacher das Gebet des Jabez aus dem 1. Buch der Chronik, um die von ihm postulierte Einfachheit spirituell zu durchdringen. „Herr, segne mich und erweitere mein Gebiet, und lass deine Hand mit mir sein, und lass Schmerz und Unglück von mir fern sein.“ Viele Menschen seien wie ein Pferd, das sich immer im Kreis dreht und dort frisst, wo nichts mehr wächst, erklärt der wohl meistbeklaute Karikaturist der christlichen Szene, während er zeichnet und selbstironisch anmerkt: „Das hier soll ein Pferd werden.“ Wer nicht den Kopf hebe, könne auch die reichen Möglichkeiten außerhalb der festgetretenen Pfade nicht entdecken. „Von Lehrern habe ich den Spruch gehört: Kein Pferd kann so tot sein, dass man es nicht mehr reiten könnte“, sagt Küstenmacher und erntet schallendes Lachen.
Wie Jabez in seinem Gebet sollte jeder Mensch mit Schmerz und Unglück rechnen. „Wichtig ist aber, auch Mut zu haben und zu kämpfen. Viele Menschen sind schon in flachem Wasser ertrunken, weil sie es nicht gewagt haben, nach festem Grund zu suchen.“ Flugs leitet er zum Thema Partnerschaft über, „zu dem meine Frau und ich vor kurzem ein Buch geschrieben haben“. Zufall aber auch. Stationen wie den Turm der Persönlichkeit, das Zelt der Verliebtheit, den Gutshof, in dem etwas Gutes erreicht und Bleibendes geschaffen werde, seien auch den zölibatär Lebenden bekannt.
Wirklich reich seien die Menschen, die, wenn sie sich unglücklich fühlten, Mut zur Veränderung hätten. „Eine Raupe träumt nicht davon, eine andere Raupe zu sein, sondern ein Schmetterling.“ Veränderungsprozesse müssten Kraft kosten, wenn sie Gewinn bringen sollen. Deswegen sterbe auch der Schmetterling bald, dem aus dem Kokon geholfen werde.
Während er beim Schreibtisch noch die Feng-Shui-Weisheiten bemüht, wechselt Küstenmacher mit dem Thema Zeit wieder auf den Boden des Christentums. „Geistlicher Reichtum braucht Raum und Zeit“, zitiert er die Kirchenväter. Seine achtjährige Tochter sei das beste Beispiel für eine neue, postmaterielle Generation, die diese Nachricht verstanden hat. Immer, wenn sie in Geschäften etwas geschenkt bekomme, sage sie von sich aus: „Das kann ich nicht gebrauchen.“ Wer früher 10.000 Gegenstände sein Eigen nannte, war reich und hatte Personal. „Heute sind es oft die Armen, die viel horten, während die Reichen sich den Luxus leisten, sich die Dinge dann zu kaufen, wenn sie diese benötigen.“ Der wahre Reichtum von heute seien Bildung und eine spirituelle Tiefe. Solcher Besitz überstehe auch Naturkatastrophen und Börsencrashs. „Ich kenne Menschen mit viel Geld, die sehr arm sind – und umgekehrt.“ Es sei nicht wichtig, was man hat, wie viel Geld man verdient und wie groß das Haus ist, sagt Küstenmacher. Wer so oft wie er vor Topmanagern Vorträge hält und hunderttausende Bücher verkauft, wird es wissen.
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