Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
„Kommt und seht“ – Jesus hat diese Aufforderung am Anfang des Johannes-Evangeliums zwei jungen Menschen zugesprochen. Es waren junge Menschen, die schon vor 2000 Jahren jemanden suchten, der ihnen für ihr Leben und für das Gelingen ihres Lebens etwas Wichtiges sagen könnte. „Sie blieben bei ihm“, so heißt es weiter im Evangelium. Ja, sie suchten sogar andere junge Menschen auf, um sie zu bewegen, mit ihnen auch bei Jesus Lebenserfüllung zu erfahren.
Liebe Schwestern und Brüder!
In dieser ersten Berufungsgeschichte wird etwas auch uns mitgeteilt: In Jesus, dem menschgewordenen Sohn Gottes, wird sichtbar, was den Menschen zu allen Zeiten von entscheidender Bedeutung ist. Gott fordert uns gleichsam auf, lädt uns ein, auf Jesus zu schauen. In ihm ist Gott selbst für die ganze Menschheit sichtbar geworden. Später wird dieser Jesus sagen: „Wer mich sieht, sieht den Vater“. Das heißt doch: Gott, das tiefste Geheimnis des Daseins, zeigt sich in menschlicher Gestalt, in menschlichen Gebärden, in menschlichen Worten. „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Der Unsichtbare tritt in Jesus ins helle Scheinwerferlicht irdischer Erfahrungen. „Kommt und seht!“ – hier in Jesus zeigt sich der Weg, die Wahrheit und das Leben. Der Mensch selbst erkennt sich erst so recht, wie er ist, im Blick auf Jesus. Später, in der Passionsgeschichte, wird Pilatus sagen: „Ecce homo“ seht, welch ein Mensch. Und er meint es gar im Sinne, das kann doch kein König sein, geschweige der Sohn Gottes! Und wiederum sagt dann der gläubige Evangelist, in dem er auf die geöffnete Seite des Gekreuzigten hinweist: „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben!“ Das rechte Sehen ist bei Jesus Zugang zum Heil. Ja, wir müssen, wenn wir das wahre Geheimnis Jesu richtig erkennen wollen, richtig hinsehen. Wer nicht bei Jesus genauer, tiefer, glaubend und liebend hinschaut, lernt ihn nicht richtig kennen. Darum braucht es mehr als nur ein paar leibliche Augen, um die Gestalt Jesu richtig kennen zu lernen. „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, sagt Saint-Exupérie im „Kleinen Prinzen“. Darum ruft uns unser Bischof mit diesem Wallfahrtsmotto auf: „Kommt und seht“. Kommt treu zu der Feier, zur heiligen Eucharistie, wo sich Jesus in seinem ganzen liebenden Wesen zeigt, wo er uns in sein geöffnetes Herz schauen lässt, wo er uns sagt: „Das bin ich!“ Höhepunkt der Messe ist der Augenblick, da wir im Aufschauen zur erhobenen Hostie mit Recht in die Knie gehen. Und hier zeigt sich im Sohn auch der Vater in seiner unendlichen Liebe zu uns. „Kommt und seht“ – wie Gott die Liebe ist. Immer vollziehen wir den Auftrag Jesu, wenn wir beten, in seiner Nähe verweilen, im Evangelium seinen Spuren folgen. Ein tiefes Erkennen und Sehen Jesu wird uns besonders im Rosenkranzgebet geschenkt: Denn wir schauen mit Maria, seiner Mutter, auf sein Leben von der Krippe bis zum Kreuz – vom Kreuz bis zur Krönung Mariens im Himmel. Wer in der Mitfeier der Eucharistie, im Lesen der Heiligen Schrift, im persönlichen Beten auf Jesus schaut, lernt Jesus recht zu sehen und durch ihn den Vater im Himmel.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir schauen bei unserer Kiliani-Wallfahrt auf die Häupter der Frankenapostel im Dom. Der Blick auf diese Männer und Glaubensboten ist für uns eine Sehhilfe, Jesus und die Geheimnisse unseres Glaubens tiefer zu erkennen. Wir schauen auf die Häupter von Kilian, Kolonat und Totnan und sehen, dass die Menschen schon vor 1300 Jahren sehr bewusst auf Jesus geschaut haben. Sie haben sich vom Sehen auf Jesus aufgefordert gefühlt, ihr Leben in seinen Dienst zu stellen. Der Blick auf Jesus hat ihr Leben bestimmt: Auf Jesus richteten sie ihr ganzes Leben aus und ließen sich von ihm in unser Land senden, um als erste Missionare und Priester im fränkischen Land zu wirken. So ermöglichten sie, dass die Menschen im mainfränkischen Land durch ihren Fingerzeig, durch ihr Wort, ihr Leben sich ausrichteten auf Jesus und Jesus selber in Blick nahmen. Wir freuen uns, was aus bescheidenen Anfängen der Kirche geworden ist. Seit 1300 Jahren schauen Menschen hier bei uns auf Jesus und mit Blick auf Jesus haben sie ihr Leben gestaltet. Und sie haben es gut gemacht. Wird das auch noch in Zukunft bleiben? Werden auch kommende Generationen und unsere junge Generation mit dieser Blickrichtung leben? Werden sie vielleicht doch mehr auf die Leitbilder unserer Medien, die Stars des Zeitgeistes, die Verführer und Blender unserer Zeit schauen? Unser Volk hat bitteres Lehrgeld gezahlt, auf selbstgemachte Heilsbringer und Führer geschaut zu haben. Am Ende musste man ansehen, wie schrecklich, satanisch, barbarisch eine solche Ausrichtung und Blickrichtung sich auswirkte. Sicher – man wird aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts etwas gelernt haben. Aber wir sind wiederum in Gefahr, die einzigartige Gestalt Jesu, des Sohnes Gottes, und die Bedeutung des Evangeliums zu übersehen. Der Blick auf Sankt Kilian und seine Gefährten macht uns wachsam und befähigt uns, wie sie damals die Gefahren zu erkennen und die Kräfte der Rettung in den Blick zu nehmen. Oder sehen wir nicht, wie verhängnisvoll es sich auswirkt, jetzt schon und erst recht in Zukunft, wenn wir auf die Situation von Ehe und Familie sehen, wenn wir sehen, dass Werte wie Reinheit, Keuschheit, eheliche Treue in unserer Zeit belächelt, ja oft verhöhnt werden? Für Sankt Kilian war dieser Bereich des menschlichen Lebens bedeutsam für die Zukunft eines Staates und auch der Kirche. Für die rechte Sicht dieser Werte, für die Sicht im Geist des Evangeliums, hat er buchstäblich seinen Kopf riskiert: „Die Ehe soll vor allem in Ehren gehalten werden.“ Und wer Jesu Worte kennt, weiß, dass Sankt Kilian hier ganz auf Jesus schaute und verkündete, was wir aus den Worten Jesu ablesen können. Man könnte das Evangelium Satz für Satz hernehmen und uns fragen: Leben wir noch in der Sicht auf das, was Jesus als Weg zum Glück, zu einem erfüllten Leben aufzeigte? Wir wollen doch alle, dass unser Leben gelingt, unser Weg zum Himmel führt, zur Erfüllung. Sehen wir noch auf diese werbende Wegweisung Jesu?
Die Wallfahrt zu den Frankenaposteln ist eine Einführung ins rechte Sehen. Ja – es ist gut, das Herz hier bei den Frankenaposteln im Hören des Wortes Gottes und besonders in der Feier der heiligen Eucharistie mit Gnade und Gotteskraft zu füllen. Wir brauchen Sehschärfe, um auch anderen zur rechten Sicht des Lebens zu verhelfen. Werden wir nicht blind für das, was uns und anderen zum Heile führt!
Amen.
(2806/1018)