Liebe Schwestern und Brüder!
Jemand formulierte es einmal so: „Die Atheisten schauen bis zum Sarg, die Christen darüber hinaus.“ Das Armen-Seelen-Fest drängt uns, auch bewusst zurückzuschauen. Dankbar stellen wir dabei fest, dass wir uns und unsere Zeit und Gegenwart ohne die Erinnerungen an vergangene Geschlechter nicht vorstellen können. Wir sehen auf ihren Schultern. Für alle Kulturen waren die Verstorbenen verehrungswürdig. Denn wir wurden in eine Welt hineingeboren, die von ihnen und von ihren Vorgängern geprägt wurde im Guten und Bösen. Schon allein deshalb können wir gar nicht so tun, als hätten sie mit uns gar nichts zu tun. Sie haben uns geprägt und uns in unserer ganzen geistigen, religiösen Einstellung mitbestimmt. Gerade als gläubige Christen denken wir dankbar zurück, dass uns unsere verstorbenen Angehörigen zum Glauben zu Christus geführt haben. Sie standen mit ihrem Glauben am Anfang unseres Christseins und haben das Gnadenwirken Gottes durch ihren Glauben ermöglicht. Sie haben uns mit ihrer Liebe zu Gott begleitet. Nicht durch irgendein Ereignis finden wir meist zu Christus, sondern durch Personen. Daher sind wir als Gläubige lebenslang dankbar für die personale Wegbegleitung.
Das Gedenken an die Armen Seelen ist für uns immer auch ein Bedenken unserer eigenen Lebenssituation. Auf einem Grabe steht das Wort: „Was wir waren, das seit ihr – was wir sind, das werdet ihr sein.“ Neben der dankbaren und menschlich notwendigen Erinnerung an die Verstorbenen sind unsere Toten für uns immer auch ein Aufruf: „Wirket, solange es Tag, denn kommt erst die Nacht, da niemand mehr wirken kann.“ Im Blick auf die Verstorbenen wird uns die Kostbarkeit und das Geschenk der Zeit, des Lebens, bewusst gemacht. Sie, die Verstorbenen, wollen uns die Freude am Leben nicht nehmen, sondern uns helfen, bewusster zu leben. Wir beschönigen manchmal unsere wirkliche Situation mit mehr oder weniger geistreichen Sätzen: „Alle Menschen müssen sterben, vielleicht auch ich“. Nein – nicht todernst sollen wir durch das Armen-Seelen-Fest werden, sondern lebens-, daseinsbewusst. Die Erinnerung an die Verstorbenen hilft uns, den Augenblick wirklich als kostbares Geschenk zu sehen und sich des Lebens zu freuen. Gerade weil uns durch unseren christlichen Glauben die ungemeine Schwere des Todes, dieses absolute Ende des Daseins genommen, besser durchsichtig gemacht ist, können wir auch froher leben, vertrauensvoller, intensiv leben Ein chinesisches Mädchen sagte einmal einem protestantischen Missionar, der am Grab seines Kindes sogar Lieder gesungen hat: „Ihr Christen schaut über den Horizont“. Auch das Sterben ist für uns kein Grund, zu verzagen, in dumpfe Sinnlosigkeit des Nachdenkens zu verfallen. Die Auferstehung Jesu ist der Durchbruch des ewigen Lebens in unser Todeshaus, wie die Welt letztlich auch empfunden werden kann.
Schließlich zeigt uns das Allerseelenfest: Wir gehen auf Gott zu im Tod, auf den gütigen, auf den barmherzigen Gott, auf den heiligen Gott. Es wirkt nach im Guten und Bösen, was wir getan haben. Das haben wir schon bedacht, aber wir dürfen auch vertrauen, dass alle Schuld und Versagen unserer Verstorbenen sich nicht zum Nachteil für die Lebenden auswirken muss. Sie selber fallen nicht heraus aus der Kirche, die insgesamt von der Barmherzigkeit Gottes und von der erlösenden und heilenden Kraft des Erlösers lebt. Wenn schon dem Verbrecher am Kreuz, dem einen Schächer, die Zusage Jesu gilt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“, dann sicher auch denen, die trotz Versagen und Schuld Jesus geliebt und mit Blick auf ihn gestorben sind. Und wenn wir verzeihen, was man uns an Schwerem hinterlassen hat, dann tut es auch gut. Die Verstorbenen sind keine Exkommunizierten des Himmels, sie verzehren sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn. In dieser verzehrenden, brennenden Sehnsucht sind sie schon in den Armen Gottes und bleiben inmitten der Kirche. So denken wir wie selbstverständlich im Hochgebet an sie. Der Begriff „Fegfeuer“ will auf das brennende Verlangen hinweisen, das Menschen haben, zu Gott zu kommen, dem Heiligsten, dem Höchsten.
Die Grabmäler aller Völker, die Pyramiden und keltischen Großgräber zeigen auf eine Ahnung der Menschen hin, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Wir Christen halten uns an Jesus, der spricht: „Ich werde sie auferwecken am jüngsten Tag“, oder an die heilige Mutter Monika, die zu Ihren Söhnen gesagt hat: „Begrabt mich, wo ihr wollt, gedenket aber meiner am Altar des Herrn!“. Amen.
(3606/1215)