Liebe Schwestern und Brüder im Herrn !
Die Kirche feiert an Pfingsten ihren Geburtstag. Wir lassen uns durch das Wort Gottes in dieser hochfestlichen Liturgie daran erinnern, wie die Kirche entstand. Ja – wir vergegenwärtigen durch die heilige Liturgie das Pfingstgeschehen von einst in Jerusalem. Wir lassen uns hineinnehmen in die Herabkunft des Heiligen Geistes, der ja der Kirche Lebenskraft und Wachstum gibt – damals und heute. Denn Pfingsten ist nicht nur ein historisches Ereignis, sondern bleibt Gegenwart. Was ist doch aus diesem bescheidenen Anfang in Jerusalem geworden?! Eine weltumspannende Gemeinschaft! Eine Gemeinschaft, die viele Völker und Kulturen umspannt.
Wir wissen aber auch, dass der Weg der Kirche durch die Geschichte wahrlich kein reiner Triumphzug war. Im Gegenteil: Nach irdischen Maßstäben gedacht, dürfte es nach so vielen Zusammenbrüchen und Verfolgungen keine Kirche mehr geben. Aber trotz aller innerkirchlichen Spannungen, ja Spaltungen und Verwerfungen, lebt die Kirche. Sie existiert aber nicht wegen der Führungsqualitäten der Verantwortlichen in der Kirche, noch wegen der moralischen Integrität ihrer Mitglieder. Nein! Dass es heute noch Kirche gibt, verdanken wir allein dem Wirken des Heiligen Geistes, der pfingstlichen Kraft aus der Höhe.
Darum weiß die Kirche, wen Sie zu feiern hat, wem sie ihren Anfang und ihre 2000-jährige Geschichte verdankt.
Liebe Schwestern und Brüder !
Auch wir feiern heute mit diesem Pfingstfest die Erinnerung an einen Anfang, an einen Neuanfang. Vor 200 Jahren wurde den katholischen Soldaten und anderen Katholiken in dieser Stadt wieder ein Gotteshaus für die sonntägliche Messfeier zur Verfügung gestellt. Fast 300 Jahre lang war es katholischen Christen in dieser lutherisch geprägten freien Reichsstadt verboten, ihren Gottesdienst in den Mauern dieser Stadt zu halten. In Würzburg, der Bischofsstadt, war andererseits den evangelischen Christen ebenfalls verwehrt, ein Gotteshaus zu haben. Vor zwei Jahren habe ich in der Stephanskirche zu Würzburg bei dem Festakt der evangelischen Kirche ebenfalls daran erinnert, dass sich beide Städte in dieser Intoleranz sehr ebenbürdig verhalten haben.
Wenn wir also diese Neuanfänge in Würzburg und Schweinfurt feiern, so darf man nicht verschweigen: es war beschämend und traurig, dass wir nicht selber uns gegenseitig Gastrecht gegeben haben, vielmehr dass die staatliche Obrigkeit uns ein Miteinander aufzwingen musste. Wie kann es nur zu solcher Verhaltensweise kommen, da wir doch uns zu dem einen Herrn Jesus Christus bekennen?! In dieser lokalen geschichtlichen Tatsache erkennen wir, wie sehr die Kirche von Anfang an durch innere Streitigkeiten, ja Zerrissenheit, gekennzeichnet war und ist. Wahrhaftig, das flehentliche Gebet des Erlösers vor seinem Leiden, sein Gebet „Lass sie eins sein!“ war von realistischer Klarsicht geprägt und auch notwendig und bleibt notwendig.
Das gegenseitige Aussperren der anderen Konfession bis zum staatlichen Eingriff hatte natürlich seine Motivationen und Hintergründe. Sie waren aber wahrlich kein Ruhmesblatt für unsere beiden Städte, weder für die kirchlich Verantwortlichen und auch nicht für den sogenannten kleinen Mann. Doch was lernen wir aus der Geschichte? Wir müssen mit Jesus um die Einheit beten. Das Gebet ist das Mittel zur Einheit. Wir wissen auch, dass die Einheit Europas seit der Wende nicht zuerst den politisch Handelnden zu verdanken ist. Gott hat als Herr der Geschichte viele Möglichkeiten, die Einheit zu verwirklichen, wenn wir ihn darum bitten. Gerade heute, da wir um eine vertiefte Einheit der Christen ringen, ist das Gebet füreinander, miteinander, das wahre Instrument zur Einheit. Übertreffen wir uns einander im Beten – das schafft ökumenischen Geist.
Liebe Schwestern und Brüder !
Gerade bei der Rückschau auf die jahrhundertelange gegenseitige Aussperrung in unseren beiden Städten ist doch etwas zu beachten: Die Reformation und die Gegenreformation waren ja deshalb zu einschneidende Geschehnisse in früheren Generationen, weil den Menschen der Glaube nicht gleichgültig war. Den Menschen früherer Zeiten war das Wort Gottes wichtig. Es war ihnen Christus wichtig, es war das rechte Gottes- und Menschenbild wichtig. Dies waren lebensgestaltende Mächte für die persönliche, gesellschaftliche, ja sogar wirtschaftliche Lebensgestaltung.
Brechen wir nicht den Stab über unsere Vorfahren, wir nicht, denen anscheinend heute alles gleichgültig – gleich-gültig ist. Die Menschen haben wirklich um den rechten Weg der Christusnachfolge gerungen. Das Evangelium, das rechte Christsein, war unseren Vorfahren lebens- und überlebenswichtig.
Wir rühmen uns heute – ob katholisch oder evangelisch – unserer so großen Toleranz in Glaubenssachen und sittlicher Lebensführung. Wir zeigen fast für alles Verständnis und auch so welt-offen. „Ob Heide oder Hottentott – wir glauben an den einen Gott“, und viele andere Sprüche haben wir parat. Die Zeit der Abschirmung von anders denkenden Menschen scheint vorbei zu sein. In der Tat: Wir erkennen bewusst an, dass Menschen heute frei ihren Weg zu Gott, zu Christus, zur Kirche, suchen dürfen. Niemand darf in religiöser Hinsicht gezwungen werden.
Das Zweite Vatikanische Konzil sagte: „Mit aufrichtigem Ernst betrachtet die Kirche jene Handlungs- und Lebensweisen ..., die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“
Doch wir haben es noch nicht verstanden, unseren missionarischen Auftrag neu zu definieren und zu erfüllen, für die Sache Christi überzeugend zu werben und einzustehen. Darum tut christliche Überzeugungskraft Not, missionarischer Geist, Pfingstgeist, um das Angesicht der Erde zu erneuern.
Dazu ist Deutschland ein Missionsland besonderer Art geworden. Daher darf ein Jubiläum dieser Art, gerade auch in der Stadt Schweinfurt, nicht in Selbstbeweihräucherung münden: „Gott, wir danken dir, dass wir nicht mehr so sind wie unsere Vorfahren.“ Nein – wir müssen dem Schwinden der Christusverbundenheit unserer Heimat entgegen wirken. Im Wettstreit miteinander – besser: in Einheit miteinander. Gerade in Schweinfurt gibt es ja viele gemeinsame, überkonfessionelle Unternehmungen, der Gottvergessenheit unserer Zeit entgegenzuwirken. Die Treue zur eigenen Kirchentradition kann dabei eine Hilfe sein, interne Streitigkeiten schwächen unser gemeinsames Glaubenszeugnis. Es muss uns gemeinsam die Sorge umtreiben, dass auch bei uns nicht mehr viele die rechte Antwort auf die Frage Jesu geben können oder wollen: „Und ihr, für wen haltet ihr mich?“ Wir wissen doch aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts, wie schnell die Menschen den falschen Herren nachlaufen, die ihnen das Paradies versprechen, aber nur Trauer, Trümmer und Tränen hinterlassen.
So schließt sich nun mein Schlussgedanke an:
Liebe Schwestern und Brüder !
Wir feiern diese Erinnerung an geschichtliche Vorgänge auch, um für das Heute und die Zukunft zu lernen. Das Grundverhalten der Menschen wird seit Jahrhunderten von seinem Milieu, von seiner Umgebung, mitbestimmt, mitgeprägt. Darum haben wir auch die Pflicht, nicht bloß als einzelne Christen für ein Klima der gegenseitigen Achtung zu sorgen. Wir müssen auch im christlichen Miteinander dafür sorgen, dass das öffentliche Leben, das Klima in einer Stadt, von christlichen Wertvorstellungen geprägt bleibt. Der Pfingstgeist zeigt sich als die Kraft, dass sich die Menschen wieder verstehen und zusammenfinden. Immer wieder gibt es ähnliche Vorgänge wie in der Vergangenheit, wo man zum Mittel der Aussperrung gegriffen hat. Dieser Ungeist feierte in jüngerer Vergangenheit Urstände, als wir gemeinsam – Katholiken und Protestanten – in den Aussperrungen von Juden, Sintis und anderen zu sehr geschwiegen haben. Wir haben zu lange zugeschaut, wie sogenannte „Andersrassige“ und „Andersdenkende“ sogar in Vernichtungslager geschickt wurden. Dieser Ungeist der Aussperrung ist auch da zu spüren, wo man Ungeborenen und Alten in subtiler Weise Beheimatung verwehrt. Es besteht in der Tat auch heute eine neue Form von Aussperrungen, auch darin, dass man große Hürden aufbaut, wenn Menschen in unser Land kommen wollen. Natürlich haben auch wir wie unsere Vorfahren Gründe bereit, um unser Verhalten zu rechtfertigen. Letztlich trifft jede Aussperrung den, der selber aus der Welt geschafft werden sollte vom Anfang an: Es trifft Jesus Christus, unseren Herrn und Gott. Mit Pfingsten kam eine neue Geistesbewegung in die Welt: Mit den Aposteln und Jüngern werden, sind wir in alle Welt gesandt, um Gott Heimatrecht in unserer Zeit zu geben. „Doch in der Familie muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland“ – daher geben wir Gott, Christus, dem Gebet, dem Glauben, Heimatrecht in unserer Familie. Zeigen wir Gott, Christus, durch unser reges Pfarreileben und Mitfeiern der Gottesdienste, dass wir froh und dankbar sind, Christus in unserer Stadt, in unserem Stadtteil wohnen zu wissen. So werden wir die konfessionellen Verschiedenheiten nicht als Spaltungspotential sehen, sondern als vielgestaltige, lebendige Bereicherung unseres Glaubenslebens. Achten wir die Eigenart und das, was den Konfessionen besonders wichtig ist und verlangen wir nicht gedankenlos, dass der Andersgläubige sich in allem nach uns richten muss.
Durch das Hereinlassen der Protestanten nach Würzburg und der Katholiken nach Schweinfurt sind beide Städte nicht ärmer, sondern bereichert worden in vieler Hinsicht. So lasst uns gute Katholiken, gute Protestanten sein oder werden, damit der Glaube das Zusammenleben lebendiger macht. Das ist und bleibt die pfingstliche Aufgabe und darum beten wir:„Sende aus deinen Geist und du wirst das Angesicht der Erde erneuern“.
Amen.
(2606/0946)