Verehrte Angehörige, liebe Schwestern und Brüder!
Vermutlich ist es den meisten von Ihnen so ergangen wie mir: Nach dem ersten Erschrecken über die Nachricht vom plötzlichen Tod eines Menschen kommen einem die unterschiedlichsten Begegnungen in den Sinn. Durch den Einschnitt, den das Sterben bedeutet, haben diese Erlebnisse jedoch nicht nur Erinnerungswert, sondern auch Symbolcharakter, weil sie in gewisser Weise wie ein Vermächtnis wirken. So habe ich mich am letzten Samstag unwillkürlich an die letzte Begegnung mit Norbert Schmitt vor einigen Wochen in Würzburg erinnert.
Wir äußerten damals beide den Wunsch, bald wieder einmal zu einem ausführlichen Gedankenaustausch zusammen zukommen. Er verabschiedete sich dann mit dem Satz: „Ich muss jetzt los, ich bin auf dem Sprung“. Niemand konnte wissen, dass dieses momentane Wort beim Auseinandergehen Vorzeichen eines endgültigen Abschieds sein würde. „Ich bin auf dem Sprung“ - jetzt wissen wir, dass sich hinter dieser alltäglichen Wendung unbewusst der Aufbruch in eine völlig andere Wirklichkeit angedeutet hat, als wir sie gemeinhin verstehen, eine Wirklichkeit, von der wir nur im Glauben hoffen können, dass sie von Gottes ewiger Liebe geprägt und getragen ist.
Mir sind aus den langen Jahren unseres Bekanntseins und der Weggemeinschaft im priesterlichen Dienst dann noch weitere Erinnerungen an Norbert gekommen. Es sind auch wieder Einzelerlebnisse, in denen ich aber jetzt nach seinem Tod, Hinweise sehen kann, wie sein Leben zu deuten ist und was sie für unseren Glauben bedeuten können.
1.Als erste Erinnerung fiel mir eine Predigt aus seiner Kaplanszeit in meiner Heimatstadt Ochsenfurt in den siebziger Jahren (1973 - 1975) ein. Norbert hat damals die Frage gestellt: „Was ist ein gelungenes Leben?“ Ist es dann so zu bezeichnen, wenn jemand Erfolg hat und seine Lebenspläne verwirklichen kann, wenn er finanziell abgesichert und menschlich anerkannt ist? All das kann wichtig sein, aber für den Glauben ist entscheidend, dass Gott am Ende Ja zu uns sagt - erst dann ist ein Leben gelungen. „Dass Gott am Ende Ja zu uns sagt“ - ich denke, diesen Satz aus seiner Predigt von damals dürfen wir nun als Gebet der Hoffnung für einen verstorbenen Priester sprechen, der uns viel bedeutet hat. Ich bete darum, dass Norbert die Wahrheit dessen erfährt, was er in seiner Verkündigung bezeugt hat. Er hat seinerzeit aber auch weiter ausgeführt, dass dieses „Ja“ Gottes zu uns schon ins Leben hineinreicht und uns Kraft gibt, auch Wechselfälle, Belastungen und schwierige Zeiten zu bestehen. In der Lesung aus dem 2. Korintherbrief bringt Paulus diese Erfahrung ins Wort (2 Kor 8,10): Die Wahrheit des Glaubens zeigt sich als Bewährung im Leben, in guten wie in schweren Zeiten. Weil Norbert für viele Menschen ein solcher Bewährungshelfer war, der das „Ja“ Gottes in ihr Leben hinein übersetzt hat, dürfen wir darauf vertrauen, dass sein Leben gelungen ist und das, was nach außen hin durch den plötzlichen Tod als unvollendeter Abbruch erscheint, in Wirklichkeit der Durchbruch zu einer neuen Daseinsform in der unzerstörbaren Gemeinschaft mit Gott ist.
2.In der Zeit, als ich für die Priesterausbildung in unserem Bistum verantwortlich war (1983 - 1996), ergaben sich immer wieder Gespräche, wenn Norbert Schmitt als Pfarrer in Neukirchen bzw. Amorbach Praktikanten aus unserem Seminar begleitet hat. Bei einem dieser Besuche im Pfarrhaus kamen wir auf die Frage, wie sich die Tätigkeit des Priesters mit einem Satz kennzeichnen ließe. „Wachsein mit Jesus“ - das haben wir damals als Grundmerkmal unseres Dienstes festgehalten. Solches „Wachsein mit Jesus“ ist aber nicht als kleinliches Überwachen zu verstehen, als ob ein Pfarrer der Oberkontrolleur der Gemeinden wäre. Wachsamkeit im biblischen Sinn, so wie sie im Evangelium unserer Eucharistiefeier ins Wort kam (Lk 12, 36-38), bedeutet vielmehr, mit wachen Sinnen vor Jesus her die Menschen im Blick zu haben, ihre Glaubensbegabungen, die unterschiedlichen Charismen zu fördern und sie zum gemeinschaftlichen Zeugnis zusammenzuführen. Norbert hat das mit viel Einsatz und großer Hingabe getan. Bei ihm kam noch eine Begabung hinzu, die ihn besonders auszeichnete: Sein wachsamer Blick galt wie nie nur aktuellen Vorgängen, sondern genauso geschichtlichen Entwicklungen, vor allem der Heimatgeschichte, die er als wichtige Erkenntnisquelle vielen Menschen erschlossen hat. Ich habe ihn einmal gefragt, wie er denn damit umgehe, dass man in der Geschichtsforschung ja nicht nur positive Seiten, sondern auch viel Belastendes und Bedrückendes entdeckt, wie Intrigen, Konflikte und Kämpfe. Er gab mir damals zur Antwort: „Ich versuche, die Geschichte im Ganzen wie das Leben einzelner Menschen mit ihren Größen und Grenzen immer von der Heilsgeschichte Gottes her zu sehen, der unsere Welt liebt und unsere Wunden heilt.“ Dieser Satz kam mir jetzt nach seinem Tod wieder mit neuer Wucht in den Sinn - ich verbinde mit der Erinnerung daran meine Bitte an Gott, dass er die so plötzlich abgebrochene Lebensgeschichte unseres Mitbruders zu einer Heilsgeschichte werden lässt, die für viele Menschen fruchtbar wird.
3.An ein letztes Erlebnis mit Norbert möchte ich schließlich noch anknüpfen, das schon in meine Zeit als Generalvikar (seit 1996) fällt. Ich erinnere mich noch gut: Vor etwa zehn Jahren gab es hier in Amorbach einen Fall von Kirchenasyl, als eine mehrköpfige Familie, die mit ihrer Abschiebung rechnen musste, hier im Gotteshaus Zuflucht gemacht hat. Der Vorgang schlug hohe Wellen; die Problematik lag darin, dass christliche Hilfsbereitschaft in einer solchen Situation sehr schnell mit dem geltenden staatlichen Gesetzen kollidiert. Ich erinnere mich noch gut, dass Pfarrer Schmitt bei den vielen Gesprächen immer wieder sagte: „Es muss doch eine menschliche Lösung möglich sein.“ Gottseidank wurde sie dann auch im Zusammenwirken aller Beteiligten - den Betroffenen, dem Landratsamt und den kirchlichen Vertretern - gefunden. „Es muss eine menschliche Lösung möglich sein“ - in diesem Satz sehe ich aber über den damaligen Anlass hinaus nicht nur eine Grundeinstellung von Norbert verwirklicht, sondern ein bleibendes Vermächtnis von ihm an uns alle gegeben: Menschliche Lösungen im tief-sten Sinn des Wortes sind nämlich nie allein von uns her zu bewerkstelligen - als Christen können wir tragfähige Lösungen nur dann finden, wenn wir aus dem Geheimnis der Erlösung leben, aus der Erfahrung nämlich, dass wir für Gott so wichtig sind, dass er in Jesus unser Leben teilt und aus Liebe zur Welt auch Leiden und Tod auf sich nimmt. Deshalb verbinde ich meine Erinnerung an das damalige Geschehen mit der hoffnungsvollen Bitte an Gott, dass Norbert Schmitt, dem menschliche Lösungen so viel bedeuteten, nun nach dem Tod die Fülle der Erlösung als bleibendes Geschenk erfährt und dass er uns allen dadurch Mut für unseren eigenen Lebensweg macht.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Im liturgischen Formular für das Gedenken an einen verstorbenen Priester heißt es im Tagesgebet: „Er hat deinen Namen unter uns kundgetan und uns das Brot des Lebens gereicht“.
In dieser Formulierung ist der Grundauftrag des priesterlichen Wirkens als Dienst an Wort und Sakrament verdichtet. Dies ist jedoch kein Automatismus.
Gerade, weil es im Leben des Priesters um die Weitergabe dessen geht, was uns von Gott durch Jesus Christus geschenkt wurde, ist dabei das persönliche Zeugnis unerlässlich. Im Namen von vielen danke ich Dir, lieber Norbert, dass Du ein glaubhafter Zeuge des Glaubens warst – im Dienst am Wort, weil Du Dich beim Wort hast nehmen lassen und im Dienst am Sakrament, weil Du auf Deine ganz persönliche Art Gottes Liebe weitergegeben hast. Möge Dein Leben in dieser Liebe vollendet sein.
Amen.