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„Ein Wunder, für das wir nicht genug danken können“

Interview mit Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November

Würzburg (POW) In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg teilte die Zonengrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR auch die Diözese Würzburg. Die beiden südthüringischen Dekanate Meiningen und Saalfeld waren vom Bistum getrennt und für den Bischof von Würzburg nur schwer erreichbar. Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele (81), von 1979 bis 2003 Bischof von Würzburg, fand dennoch Wege, die Katholiken jenseits der Mauer zu besuchen. Im folgenden Interview spricht er über seine Kontakte nach Südthüringen vor 1989, über den Mauerfall vor 20 Jahren und über die Folgen der Einheit für das Bistum Würzburg.

POW: Herr Bischof, wie und wo haben Sie den Fall der Mauer am 9. November 1989 erlebt?

Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele: Wie die meisten Deutschen habe ich den Fall der Mauer am Fernseher miterlebt. Dabei war es anders als sonst, wenn man vieles vorüberflimmern lässt, weil es einen nicht persönlich betrifft. Diesmal ging es einem unter die Haut. Das Leben als Deutscher bekam eine neue Qualität.

POW: Hatten Sie mit dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der DDR gerechnet?

Bischof Scheele: Bis kurz vor dem Mauerfall habe ich nicht mit ihm gerechnet. Ich war der Meinung, so etwas würde nur bei einer bewaffneten Auseinandersetzung passieren, also einem innerdeutschen Krieg, der sogleich zu einem erneuten Weltkrieg würde. Das wollte natürlich niemand.

POW: Waren Sie von der Gewaltlosigkeit der Ereignisse überrascht?

Bischof Scheele: Nachdem man erlebt hatte, wie ein vergleichbar begrenzter Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 mit Panzern niedergeschlagen wurde, war es eine große Überraschung, dass die ganze Wende unblutig verlief. Dazu hat nicht zuletzt die Disziplin der Demonstranten beigetragen.

POW: Die Dekanate Meiningen und Saalfeld gehörten damals zur Diözese Würzburg. Wie haben Sie zu DDR-Zeiten Kontakt zu den Katholiken in Südthüringen gehalten?

Bischof Scheele: Als ich 1979 Bischof von Würzburg wurde, war mir klar, dass es mit meinen regelmäßigen Besuchen der DDR vorbei sein würde. Seit Jahren hatte man keinem Bischof aus Westdeutschland eine Einreise erlaubt. Nun hatte ich seit 1953 jährlich Mitbrüder im Ostteil des Erzbistums Paderborn, dem heutigen Bistum Magdeburg, besucht. In einer kleinen Stadt bekam ich die dazu notwendige Erlaubnis. Als ich erstmals in Ostberlin mit unseren in Thüringen tätigen Priestern zusammenkam, wünschte man, das solle so bald wie möglich wieder geschehen. Als ich sagte: „Erst komme ich zu Ihnen“, konnte man das für einen Witz halten. Dennoch ist es geschehen. Wie gewohnt beantragte ich das Visum und bekam es zu meiner eigenen Überraschung. Daraufhin habe ich meine Mitbrüder im Magdeburger Anteil besucht und fuhr von dort per Auto erstmals in die Dekanate Meiningen und Saalfeld. In der Überzeugung, dass dies nur ein einziges Mal gelingen würde, weil man mich bald als Bischof von Würzburg identifizieren könnte, habe ich die beiden Dekanate so intensiv besucht wie zuvor keines im Westen. Ich war Jahr für Jahr immer wieder aufs Neue überrascht, dass ich dieses Besuchsverfahren bis zur Wende ungestört praktizieren konnte. Natürlich habe ich alle Aktivitäten nach Kräften unterstützt, die dem Thüringer Anteil unserer Diözese galten. Durch den sogenannten „kleinen Grenzverkehr“ ist sehr viel Hilfe übermittelt wurden.

POW: Können Sie uns eine Begegnung in der damaligen DDR schildern, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Bischof Scheele: In besonderer Erinnerung ist mir mein letzter Besuch bei Bischof Hugo Aufderbeck geblieben. Als der Bischof von Würzburg die bischöflichen Aufgaben in den thüringischen Dekanaten nicht mehr ausüben konnte, hat er sie in vorbildlicher Weise wahrgenommen. Das gilt auch für seinen damaligen Weihbischof Joachim Meisner und für Weihbischof Karl Ebert, den letzten Kommissar für Südthüringen, der in der Neumünsterkirche ruht und der mein Vorgänger auf dem Titularbischofssitz von Drua gewesen ist. So gab es manches, was offiziell zu besprechen war. Dabei drehte Bischof Hugo das Radio überlaut an, damit andere unser Gespräch nicht, jedenfalls nicht so leicht, abhören konnten. Da wir beide aus dem Erzbistum Paderborn stammten und überdies noch Sauerländer waren, verstanden wir uns aufs Beste. Eines Tages sagte er mir: „Du weißt, dass ich Krebs habe; ich weiß es seit sieben Jahren.“ Bald darauf wurde er heimgerufen.

POW: Was bedeutete der Mauerfall für die Diözese Würzburg?

Bischof Scheele: Für die Diözese bedeutete der Mauerfall, was er für ganz Deutschland bedeutete. Endlich kam wieder zusammen, was zusammengehört. Es wurde möglich, vieles unmittelbar und unkompliziert zu klären. Viele Diözesanen sahen sich zum ersten Mal.

POW: Sie haben das Geschehen im November 1989 als ein mutmachendes ökumenisches Signal bezeichnet. Welche Bedeutung hat der Mauerfall für die Ökumene?

Bischof Scheele: In der Ökumene tauchen immer wieder Schwierigkeiten auf, die eine Wiedervereinigung unmöglich erscheinen lassen. Wie sollen die zusammenfinden, die jahrhundertelang getrennt waren? Wie kann es eine Einheit geben bei den großen Unterschieden, die bis zur Stunde gegeben sind? Wie kommen wir uns näher, wenn es immer wieder Aktivitäten gibt, die das verhindern? Angesichts dieser Fakten und Fragen sehe ich in der Wiedervereinigung Deutschlands ein Zeichen der Hoffnung. Damals ist geschehen, was lange nicht nur schwierig, sondern unmöglich erschien. Weshalb sollte das nicht auch für das Zusammenfinden der getrennten Christen gelten?

POW: Nach dem Mauerfall gab es eine „Anfangseuphorie“ in der katholischen Kirche Thüringens, dass die Zahl der Gläubigen steigen könnte. Später kam die Ernüchterung. Was haben Sie sich nach dem Mauerfall für die Katholiken in Thüringen erhofft?

Bischof Scheele: Nicht nur in Thüringen, sondern in ganz Deutschland konnte man eine Erneuerung des christlichen Lebens erhoffen. Jetzt waren viele pastorale Hilfen möglich; jetzt konnte man in Freiheit tun, was man für richtig hielt; jetzt war das Bekenntnis zum Glauben nicht mit Nachteilen im alltäglichen Leben verbunden. Natürlich habe ich gehofft, dass dies unseren thüringischen Mitchristen helfen würde. Dass deren Zahl nicht gestiegen ist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass viele es vorgezogen haben, in den Westen zu ziehen und unter den dort günstigeren Arbeitsbedingungen eine neue berufliche Existenz aufzubauen.

POW: Das Bistum Würzburg hat Gebiete an die neue Diözese Erfurt abgegeben. War dies ein schmerzlicher Prozess oder nur die logische Konsequenz aus der Errichtung der neuen Bundesländer?

Bischof Scheele: Natürlich fiel es nicht leicht, zwei große Dekanate abzugeben, die seit eh und je zum Bistum gehörten. Andererseits legte die Errichtung des Bundeslandes Thüringen nahe, die Diözesangrenzen dieser neuen Gegebenheit anzupassen. Für beide Seiten ist es von Vorteil, wenn politische und kirchliche Grenzen übereinstimmen. Das eröffnet Kontakt- und Kooperationsmöglichkeiten, die sonst nicht gegeben sind.

POW: Wie beurteilen Sie den Mauerfall 20 Jahre nach den Ereignissen des Herbstes 1989?

Bischof Scheele: Der Mauerfall ohne irgendeine kriegerische Kampfhandlung erscheint auch nach 20 Jahren noch als ein Wunder, für das wir nicht genug danken können. Vieles ist seither in der neu gegebenen Verbundenheit in der gesamten Bundesrepublik geschehen, was vorher nicht möglich war. Zugleich kann nicht übersehen werden, dass die durch das Ende der Mauer ermöglichte Einheit aller Deutschen noch längst nicht hinreichend empfunden und gelebt wird.

Interview: Bernhard Schweßinger (POW)

(4409/1262; E-Mail voraus)

Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet

Hinweis: Der Bayerische Rundfunk sendet am Sonntag, 8. November, im Hörfunkprogramm Bayern 2 von 8.05 bis 8.30 Uhr in der Reihe Katholische Welt den Beitrag „Seelsorge hinter dem Eisernen Vorhang: Der Würzburger Priester Dieter Hömer und seine DDR-Zeit“. In der Radio-Reportage spricht auch Bischof Scheele über seine Begegnungen mit Prälat Hömer in der Zeit des Eisernen Vorhangs.