Würzburg (POW) Die Zukunft des Gesundheitswesens ist nicht eine Frage der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft. Das wurde bei der Podiumsdiskussion zur ökumenischen „Woche für das Leben“ am Mittwochabend, 21. April, im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus in Würzburg deutlich. Unter dem Thema „Gesunde Verhältnisse“ diskutierten Vertreter aus Politik, Kirche und Gesundheitswesen die Frage nach einer gerechten Verteilung der Ressourcen im Gesundheitssektor. Ein ökumenischer Gottesdienst in der evangelischen Kirche Sankt Stephan griff zuvor in der Liturgie das Motto auf. Die bundesweite „Woche für das Leben“ findet heuer zum 20. Mal statt. Das aktuelle Thema schließt das Dreijahresthema „Gesund oder krank – von Gott geliebt“ ab, das 2008 bei der bundesweiten Eröffnung in Würzburg vorgestellt wurde.
Dampf ablassen war zu Beginn der Diskussion angesagt: Das schlechte Image von Pflege halte Menschen davon ab, sich für einen Pflegeberuf zu entscheiden, kritisierte eine Mitarbeiterin einer Sozialstation. Große Probleme mit einer privaten Krankenkasse schilderte eine Frau im Zusammenhang mit der Pflege ihrer Eltern. Von Fließbandmedizin, Zwei-Klassen-Medizin und Bürokratie berichtete ein Arzt. Diskussionsstoff war geboten für Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Birgit Löwe vom Diakonischen Werk Bayern, Peter Collier, Aufsichtsratsvorsitzender der Missionsärztlichen Klinik, Professor Dr. Berthold Jany, Chefarzt der Missionsärztlichen Klinik, Horst Keller, Direktor der AOK Würzburg, Georg Sperrle, Bereichsleiter ambulante Pflege beim Diözesancaritasverband, sowie Pfarrer Bernhard Stühler, Krankenhausseelsorger im Juliusspital. Franz Barthel moderierte das Podium.
Stamm trat vehement dafür ein, auch Menschen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müssten unabhängig vom Alter am medizinischen Fortschritt teilhaben können. Angesichts von vier Milliarden Euro Steuergeldern, die nur noch in diesem Jahr in die GKV als Zuschuss flössen, sei es wichtig, die Finanzierung künftig auf eigene Beine zu stellen, gleichzeitig aber auch den schwerkranken Menschen Sicherheit zu geben. „Die Solidarität steht nach wie vor. Doch darf die Solidargemeinschaft auf Dauer nicht überfordert werden.“ Jeder müsse sich fragen, was er selbst in die Prävention investiere und im Krankheitsfall erbringe. „Was können wir in Eigenverantwortung tun und wofür ist der Staat verantwortlich, damit die Rahmenbedingungen stimmen?“
Dass auch eine christliche Klinik im Spannungsfeld zwischen eigenem Auftrag und einer immer enger werdenden Kostenstruktur stehe, unterstrich Collier von der Missionsärztlichen Klinik. Viele Menschen wünschten, in einem christlichen Krankenhaus behandelt zu werden, was auch künftig im Missio für einen guten Zulauf sorgen werde. Den christlichen Hintergrund spürten die Patienten auch im Würzburger Juliusspital, schloss sich Pfarrer Stühler an. Der Kranke werde dort optimal betreut und stehe im Mittelpunkt. Die Angst von Patienten, nicht optimal behandelt zu werden, erlebe er im Juliusspital nicht.
Auf die knappen Ressourcen und die hohen Kosten im Gesundheitswesen wies Chefarzt Jany hin. In der Gesellschaft nehme die Altersstruktur zu. Die meisten medizinischen Kosten entstünden in den letzten Lebensjahren eines Menschen. Gleichzeitig müsse der medizinische Fortschritt finanziert werden. Für einen Arzt dürfe aber die Frage nach den Kosten keine Rolle bei der Behandlung spielen. Er sei dem individuellen Patienten verpflichtet, betonte der Chefarzt. AOK-Chef Keller gestand, nicht gut schlafen zu könne, wenn er an die finanzielle Situation im Gesundheitswesen denke. Da 2011 der staatliche Zuschuss nicht mehr bereit stehe, würde das Defizit der GKV steigen. Zusatzbeiträge bei manchen Kassen seien die Folge. Vor allem Menschen, die weniger Leistungen in Anspruch nähmen, wechselten die Kasse, sobald ein Zusatzbeitrag gefordert werde. „Der Druck auf die Leistungen dieser Kassen wird dann noch größer.“
Für eine menschenwürdige Pflege, die dem Kranken Sicherheit vermittle, sprach sich Sperrle vom Caritasverband aus. Heute gebe es 2,2 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Der Großteil werde von den Angehörigen gepflegt. „Sie sind der größte Pflegedienst in Deutschland.“ Doch werde es auch für die Angehörigen zunehmend schwieriger, Pflege zu leisten. Der Trend gehe zur professionellen Pflege. Vorteil der kirchlichen Pflegeanbieter sei, dass sie über kirchliche Zuschüsse Leistungen anbieten könnten, die von den Krankenkassen nicht bezahlt würden. Pflege müsse ambulant und stationär sein, unterstrich Löwe vom Diakonischen Werk. Die Gesellschaft müsse sich fragen, was ihr der Dienst der Pflegekräfte wert sei.
Kritik gab es an dem Abend auch an Prüfumfang und Kosten des Medizinischen Diensts, an komplizierten Abrechnungssystemen für erbrachte medizinische Leistungen und an der Verschwendung von Geldern im Gesundheitswesen. Einig war man sich, dass ein starkes bürgerschaftliches Engagement vieles erreichen könne. Als Beispiel hierfür wurde der Dienst der Hospizvereine genannt.
Im vorausgehenden Gottesdienst betonte der evangelische Dekan Dr. Günter Breitenbach mit Blick auf das Motto der Woche, zu gesunden Verhältnissen gehöre, dass ein Mensch seinen Lebensweg in Sicherheit gehen könne. Er kritisierte eine Pflege im Minutentakt, bei der auch die vor die Hunde gingen, die pflegen sollen. Persönliche Erfahrungen im Umgang mit Krankheit schilderte der stellvertretende katholische Dekan Josef Treutlein. Krankheit und Pflegebedürftigkeit seien eine Herausforderung für den Glauben.
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