Saarbrücken (POW) Das Schlusslied war wohl programmatisch: Zu den letzten Takten der Textzeile „Du hast mir gezeigt, dass ich Flügel hab“ entfleucht Pater Anselm Grün am Abend von Christi Himmelfahrt, 25. Mai, durch die Sakristei der Basilika Sankt Johann in Saarbrücken. Berühmt sein ist nicht immer leicht, gerade wenn man wie der Münsterschwarzacher Missionsbenediktiner zu den Publikumsmagneten auf dem 96. Katholikentag zählt.
„Nur“ sechs offizielle Auftritte hat der meistgelesene deutschsprachige Autor religiöser Bücher auf dem Katholikentag. Da werden selbst die Stehplätze schnell knapp. Beim Abendgebet, das um 22.30 Uhr beginnt, ist bereits eine Stunde vorher fast kein freier Sitz mehr zu bekommen. So voll dürfte die Saarbrücker Basilika Sankt Johann unterm Jahr nur an Weihnachten sein.
Das dunkle Mönchshabit noch unter einer grauen Sommerjacke verborgen, sitzt Grün in der Kirchenbank und sammelt sich. Zumindest versucht er’s. Im Minutentakt kommen die Katholikentagsteilnehmer, vom Schulbub bis zur Rentnerin, und fragen nach Autogrammen. Milde lächelnd zückt der Münsterschwarzacher seinen Kuli und signiert: Katholikentags-Programme, Fahrkarten und Notizzettel. Betont unauffällig schleicht ein Teenager den Seitengang nach vorne und zückt den Fotoapparat.
„Ich freue mich mit ihnen auf Pater Anselm Grün, den Buchautor, Benediktinermönch und nicht zuletzt Cellerar seiner Abtei Münsterschwarzach“, kündigt Liedermacher Wolfgang Abendschön nach dem Eröffnungslied den besonderen Gast des Abends an. Der Applaus für den Karlsruher Musiker und seine Band „Akzente“ wirkt verhalten im Vergleich zum Tosen, das die Basilika erfüllt, als der Benediktiner mit dem Rauschebart ans Mikro tritt.
Sanft und kräftig zugleich klingt Grüns Stimme, als er seine Anleitung zum Gebet formuliert: Sich selbst vor Gott bringen – so wie man im Augenblick fühlt. Der Sehnsucht nach Gott Raum geben. Gottes wohlwollenden Blick erspüren. „Wenn ich auf mein Ich schaue, wenn ich still werde, dann merke ich schnell: Mein Innerstes ist genauso unbeschreiblich wie der große Gott.“ Nicht in erster Linie fromm müsse das Gebet sein, sondern ehrlich. „Das bedeutet: Auch meine weniger fromme Seite, meine Angst, meine Unruhe. Das alles hat Platz im Gebet.“
Zwei Lieder unterbrechen den Vortrag. Ein Kameramann vom ZDF und zwei Pressefotografen nutzen die Gelegenheit, ansprechende Bilder einzufangen: Anselm Grün ganz vorne im Kirchenschiff sitzend, hinter ihm die beeindruckende Menschenmasse. Als Abendschöns Gitarrist die Gläubigen zum Mitklatschen auffordert, klatscht Grün fröhlich mit.
„Ach Gottesferne verwandelt sich, wenn ich sie vor Gott hinhalte“, lautet sein Rezept für Zweifelnde. Jeder könne sich von Gott berühren lassen, der so viel größer ist als jeder Mensch. „Alle mitmenschlichen Probleme werden klein, wenn ich Gott in mir spüre.“ Mit einem Segenshymnus aus dem 5. Jahrhundert entlässt Grün die Teilnehmer des Abendgebets in die verregnete Nacht. So kurz kann sich eine Stunde Frömmigkeit anfühlen.
(2206/0806, E-Mail voraus)