Würzburg/Rom (POW) Von Montag, 23., bis Mittwoch, 25. Oktober, tagen rund 60 Fachleute aus Politik, Medizin und Theologie an der Universität Würzburg zum Thema „Heil und Befreiung in Afrika – Die Kirchen vor der missionarischen Herausforderung durch HIV/Aids“. Als Vertreter des Vatikan nimmt Kurienkardinal Javier Lozano Barragán (73) an der Veranstaltung teil. Im folgenden Interview mit dem Pressedienst des Ordinariats Würzburg (POW) äußert sich der gebürtige Mexikaner und amtierende Präsident des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst zu den kirchlichen Anstrengungen gegen Aids und schätzt die weltweite Entwicklung im Kampf gegen die Seuche ein.
POW: Herr Kardinal, Sie nehmen zusammen mit Theologen, Politikern und Medizinern an einem Symposium zum Thema Aids teil. Was hat die katholische Kirche in die Diskussion einzubringen?
Kurienkardinal Javier Lozano Barragán: Als Kirche bringen wir zum Beispiel die Frage nach der Versorgung der vielen Aidswaisen ein. Das ist eine echte Herausforderung. Viele von diesen Kindern haben kein Dach über dem Kopf und nicht genug zu essen. Wir kümmern uns aber auch um die Kranken. Kirchliche Organisationen kaufen Medikamente, um den Infizierten zu helfen. Gerade in Afrika gibt es aber noch weitere Krankheiten, die nach wie vor eine echte Bedrohung darstellen: Malaria, Tuberkulose und Hepatitis. Deswegen sehen wir uns aufgefordert, die generelle Versorgung mit Lebensmitteln zu verbessern, weil ohne ausreichende und gute Nahrung auch die besten Medikamente wenig nützen.
POW: Der Vatikan hat für den Kampf gegen Aids die Stiftung vom „Barmherzigen Samariter“ gegründet. Viele Außenstehende glauben, die katholische Kirche habe so etwas nicht notwendig, weil sie selbst genug Geld besitze, das sie investieren könne. Warum also die Stiftung?
Lozano Barragán: Es mag Diözesen geben, die finanziell besser ausgestattet sind. Der Vatikan selbst hat nicht viele Mittel. Deswegen sammelt die Stiftung weltweit Gelder, um sie unbürokratisch und effizient an die Bedürftigen weiterzugeben. Es gibt rund 1,1 Milliarden Katholiken und nur die wenigsten haben Geld genug, um damit auch anderen helfen zu können. Ich denke, dass wir als Kirche eine wichtige Instanz sind, wenn es darum geht, vor Ort den Menschen in Not Beistand zu leisten. Nach internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen sind es katholische Einrichtungen, die sich am meisten um die Opfer von HIV und Aids kümmern. Fast ein Drittel aller Hilfsprogramme zum Kampf gegen Aids sind in Hand der katholischen Kirche.
POW: Das kirchliche Engagement scheint in einem Gegensatz zur Stigmatisierung HIV-Positiver von zahlreichen Offiziellen zu stehen. Vielerorts ist die Rede von Aids als Strafe Gottes noch verbreitet. Wie sehen Sie das?
Lozano Barragán: Die Infektionswege sind sehr unterschiedlich. Die einen infizieren sich über Blut, zum Beispiel Kinder im Mutterleib. Ein anderer Weg ist Geschlechtsverkehr: Wenn außer- oder vorehelicher Geschlechtsverkehr zur Infektion führt, dann muss die Rede von Sünde und Schuld erlaubt sein.
POW: Sollte die Kirche demnach auch in ihrer Zuwendung zwischen schuldig und unschuldig Infizierten unterscheiden?
Lozano Barragán: Wir haben nicht das Recht, hier einen Unterschied zu machen. Wir müssen die Zuwendung Gottes spürbar machen. Die Kirche hat eine Verantwortung für die Ausgestoßenen und Außenseiter. Und wir müssen etwas für die Vorbeugung dieser Krankheit tun.
POW: Hat die Kirche es möglicherweise versäumt, sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten, eine offizielle Verlautbarung für den Umgang mit der Krankheit Aids und den von ihr Betroffenen zu veröffentlichen?
Lozano Barragán: Die Kirche ist die einzige Institution, die sich – abgesehen von staatlichen Stellen – von Anfang an um die Kranken gekümmert hat.
POW: Nur scheint das in der Öffentlichkeit nicht unbedingt jeder mitbekommen zu haben. Fehlt es an der richtigen Öffentlichkeitsarbeit?
Lozano Barragán: Wir leisten intensive Arbeit vor Ort. Und das ist es doch, was zählt.
POW: Wie schätzen Sie die Situation im Kampf gegen Aids in etwa 20 Jahren ein?
Lozano Barragán: Weltweit sieht es nicht gut aus. Die Zahl der Infizierten steigt, auch in den reichen Ländern des Westens wie in den USA, in Spanien, Frankreich, Portugal, Italien und Deutschland.
POW: Ist die Kirche angesichts oder trotz dieser Prognosen mehr denn je als moralische Instanz gefragt?
Lozano Barragán: Die Grundanliegen der Kirche sind seit jeher die Nächstenliebe, Gottesliebe und Gerechtigkeit. Das Hauptproblem der Gesellschaft ist die Verweltlichung. Der Wert des menschlichen Lebens hat in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung verloren. Es fehlt an verlässlichen und tragfähigen Werten. Wir müssen die Grundwerte der Menschlichkeit retten. Wenn es uns gelingt, die Bedeutung aufrichtiger und wahrer Liebe und den Wert verantwortlich gelebter Sexualität zu erkennen, dann sind wir im Kampf gegen Aids schon ein ganzes Stück weiter. Und wir sind aufgefordert, auch weiter gegen die Armut zu kämpfen, die vor allem in Afrika ein wichtiger Teil des Problems ist.
Interview: Markus Hauck (POW)
(4306/1473; E-Mail voraus)
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