Würzburg (POW) Als eine Chance und Herausforderung für die Kirche sieht der Wiener Weihbischof em. Dr. Helmut Krätzl die säkulare Gesellschaft. „Die Kirche sollte selbstbewusst aufzeigen, dass sie für die Lösung der Probleme der modernen Gesellschaft notwendig ist und Werte in das Zusammenleben der Menschen einbringen kann.“ Weihbischof Krätzl sprach am Montagabend, 14. April, im Sankt Burkardushaus bei der Gedenkfeier für den 2006 verstorbenen Prälaten Domkapitular em. Josef Pretscher, der an diesem Tag 80 Jahre alt geworden wäre. Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele würdigte Pretscher bei der vorausgehenden Eucharistiefeier in der Sepultur des Doms als Priester, der in Domschule und Erwachsenenbildung den Dialog gesucht und die Diskussion nicht gefürchtet habe. Professor Dr. Dr. Günter Koch, Direktor i. R. der Katholischen Akademie Domschule, stellte die von ihm und Domkapitular Dr. Helmut Gabel herausgegebene Gedenkschrift „Josef Pretscher. Vordenker – Anreger – Verkündiger. Ein biographisches Mosaik“ vor. Sie biete ein lebendiges Gesamtbild von Josef Pretschers Leben und Wirken.
Weihbischof Krätzl ging in seinem Vortrag auf die Säkularisierung der Gesellschaft ein und forderte die Kirche auf, den Dialog mit der heutigen Welt zu führen. Eine starke Wurzel für die Säkularisierung sei heute eine neu aufflammende, sehr polemische Kampagne gegen den Monotheismus und die Religion überhaupt. Außerdem habe eine schleichende Säkularisierung fast unbemerkt den menschlichen Alltag durchdrungen. Kirchliche Feiertage und Symbole würden zwar geschätzt, aber nicht mehr verstanden. So sei das Kreuz zu einem beliebten Dekor geworden, und in vielen Autos hänge ein Rosenkranz, ohne dass man ihn zu beten verstehe. Hinzu komme besonders in den neuen Bundesländern eine Lebensweise völlig ohne Gott, die dort als normale Lebensweise gelte. Die Kirche stehe diesen Erscheinungsformen oft hilflos gegenüber. Ihr Einfluss in die Gesellschaft und damit auch in die Politik sei erheblich gesunken. „Das erlebt sie besonders bei der Verteidigung menschlichen Lebens von Anfang an, in der Diskussion um Euthanasie, in der Embryonenforschung und in der Gentechnologie“, konstatierte der Weihbischof.
Kirche dürfe aber die säkular gewordene Gesellschaft nicht als eine Bedrohung ansehen, sondern als Herausforderung, mahnte Krätzl. Christen seien Teil der Gesellschaft und voll für sie mitverantwortlich. Kirche müsse deutlich machen, welche Hilfen gerade aus christlichem Gedankengut und christlicher Lebensweise einer säkularen Gesellschaft geboten würden. „Warum gelingt es uns nicht, das Positive aufzuzeigen, das gerade aus dem christlichen Geist gegeben wurde, um zu ergänzen, wo Staat und Gesellschaft kläglich versagten?“, fragte der Weihbischof. Um als Gesprächspartner in einer säkularen Welt ernst genommen zu werden, müsse die Kirche das „Zeitliche“ bejahen.
Das positive Menschenbild des Zweiten Vatikanischen Konzils sei heute geradezu lebensnotwendig, weil der Wert des Menschen häufig nach seiner Nützlichkeit für Wirtschaft und Gesellschaft bemessen und sein Lebenswert in Frage gestellt werde, wenn er der Umwelt zur Last zu werden beginne. „Dieses veränderte Menschenbild glaubwürdig zu machen wird aber nur gelingen, wenn die Kirche den Menschen auch in den eigenen Reihen in seiner Selbstverantwortung völlig ernst nimmt, seinen Gewissensentscheid als letzte Instanz respektiert und nicht sofort immer an das kirchliche Lehramt zurückbindet“, mahnte der Weihbischof. Viel überzeugender müsse die Kirche auch die große Hypothek der Leibfeindlichkeit abbauen. Krätzl bedauerte, dass in den offiziellen Dokumenten nach dem Konzil die positive Sicht von Sexualität nie entfaltet worden sei. Auch für die so notwendige Hilfe zum Gelingen von Partnerschaft habe sich die Kirche durch ihr Festhalten an kasuistischen Regeln über die Empfängnisverhütung scheinbar unlösbare Fesseln gesetzt und Vertrauen verloren.
Angesichts der schleichenden Säkularisierung empfahl der Wiener Weihbischof zu überprüfen, wie sehr sogar in katholischen Familien äußere Bräuche den Inhalt der Feste verdunkelten. Die Liturgie stehe hier vor neuen Herausforderungen, beispielsweise bei der Gestaltung des Weihnachtsfests. Weiter wäre es wichtig, dass Kirche gerade zu den Festzeiten auch in den Medien stärker positiv präsent ist und das Feld nicht „Außenseitern“ überlässt. „Die schleichende Säkularisierung der eigenen christlichen Feste fordert heraus, Verkündigung, Liturgie, Präsenz in der Öffentlichkeit ganz neu zu überdenken“, betonte Krätzl. Den „neuen Heiden“ gelte es frei und mit Gelassenheit als „Gotteserfahrene“ zu begegnen. Das neue Erwachen von Religiosität gehe an den Großkirchen vorbei, da sie unüberschaubar seien und ihren reichen Schatz an Mystik kaum nutzten. Die Kirche müsse die Liturgiereform überdenken und eine neue Kultur und Qualität der Gottesdienste pflegen. Das setze aber eine viel größere Freiheit in der Liturgie voraus, die nicht mehr nur zentral, sondern regional verantwortet werde. Heute habe die Kirche die Chance, wieder hin zu ihrer Wesensaufgabe zu finden. „Immer wenn die Kirche in Bedrängnis war, ist sie zur Hochform aufgelaufen.“
Helmut Gabel und Günter Koch (Hrsg.): „Josef Pretscher. Vordenker – Anreger – Verkündiger. Ein biographisches Mosaik“, 126 Seiten, 9,90 Euro, Echter Verlag Würzburg 2008, ISBN 978-3429030018.
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