Würzburg/Bamberg (POW) Seit 15. März 2008 leitet Regens Herbert Baumann (62) das Priesterseminar Würzburg. Zuvor war er Pfarrer von Kitzingen-Sankt Johannes, Sulzfeld am Main und Biebelried. Zusätzlich war er von 1995 bis 2008 Dekan des Dekanats Kitzingen. Im folgenden Interview spricht er über seine ersten Erfahrungen im Priesterseminar, über die Zusammenarbeit mit dem Erzbistum Bamberg, über erste neue Ideen und über die Vorbereitungen der jungen Männer auf ein zukünftiges Priesterleben in größeren Seelsorgeeinheiten.
POW: Nach mehreren Jahrzehnten in der Pfarrseelsorge in Kitzingen sind Sie im Frühjahr 2008 als Regens an das Priesterseminar Würzburg gewechselt. Wie ist Ihnen dieser Neuanfang bekommen?
Regens Herbert Baumann: Der Neuanfang war sehr schwierig und für mich eine völlige Umstellung. Im Priesterseminar lebe ich in einem geschlossenen System, während eine Pfarrei ein offenes System ist. Ich bin jetzt sehr viel stärker in den Tagesrhythmus eingebunden. In der Pfarrgemeinde gibt es täglich stetig wechselnde Anforderungen. Im Priesterseminar läuft der Tag eher gleichmäßig und stärker strukturiert ab. Von außen her gesehen mag es vielleicht als ein etwas ruhigeres Leben erscheinen. Aber der Stress im Priesterseminar besteht darin, dass ich ständig mit den Studenten in positiver Auseinandersetzung stehe. Ich muss mich mit den großen und kleinen Fragen der Leute im Haus beschäftigen und habe die Erwartungen von außen zu berücksichtigen.
POW: Haben Sie sich eingelebt im Priesterseminar?
Baumann: Die ersten 100 Tage sind vorbei. Es gibt erste Ideen für künftige Entwicklungen im Priesterseminar. Ja, ich habe mich eingelebt.
POW: Welche Erfahrungen aus der Seelsorge bringen Sie in die Priesterausbildung ein?
Baumann: In der Seelsorge muss man sehr konsequent und selbstverantwortlich arbeiten. Im Seminar ist vieles vorgegeben: Die Theologiestudenten müssen lernen, selbstverantwortlich zu arbeiten und selbstverantwortlich für ihr geistliches Leben zu werden. Weiter müssen sie lernen, mit den unterschiedlichsten Menschen zurechtzukommen. Der Priester muss im wahrsten Sinn des Wortes ein Brückenbauer sein: einer, der für die Einheit sorgt zwischen den Menschen in der Gemeinde und künftig in mehreren Gemeinden, für die Einheit zwischen den Gemeinden und dem Bischof und vor allem für die Einheit zwischen den Menschen und Gott. Diese Erfahrungen habe ich in der Praxis gesammelt. Ich will sie an die künftigen Priester weitergeben.
POW: Welchen Leitungsstil wollen Sie pflegen?
Baumann: Mir ist ganz wichtig, dass wir offen miteinander umgehen. Ich möchte nicht irgendwelche Entscheidungen vorsetzen, sondern sie müssen begründet sein. Ich möchte auch hören, wo etwas nicht passt – und nicht hintenherum. Und ich möchte sehr viel auf die jungen Leute eingehen und mir Zeit nehmen für Gespräche, die oft notwendig sind.
POW: Sehen Sie sich mehr in der Rolle eines Vaters, eines Chefs oder eines Kumpels und Freunds der Seminaristen?
Baumann: Ich sehe mich mehr als ein Vater, der von seiner Lebenserfahrung Anteil gibt und der den Studenten hilft, ihre eigene Berufung als Priester zu entdecken. Der Regens hat dabei aber auch die schwere Verantwortung, diese Berufung im Zusammenspiel mit den anderen Verantwortlichen und den Gläubigen zu prüfen. Da muss ich eben dann doch wieder entscheiden – als Vater. Weitere wichtige Aufgabe des Regens für die Ausbildung der Studenten ist die Unterstützung des Theologiestudiums und die Begleitung bei der Pastoralausbildung. Aber auch da verstehe ich mich eher als Vater denn als Erzieher.
POW: Kommen die jungen Männer mit dem klaren Berufsziel Priester ins Seminar?
Baumann: Ja. Aber, es gilt nochmals nachzufragen: Was sind meine tiefsitzenden Motive? Hat das, was ich als Berufung empfinde, Bestand, wenn andere darauf blicken? Kann ich meine Berufung leben unter den heutigen Bedingungen? Darüber hinaus, so meine ich, müssen wir den Mut haben zu sagen, dass man nicht nur als Pfarrer Priester sein kann. Wir brauchen die unterschiedlichen priesterlichen Berufungen. In den künftigen großen Pfarreiengemeinschaften muss nicht jeder ein Spitzenmann in der Verwaltung sein. Er muss aber ein Geistlicher sein, der vom Geist Gottes erfüllt ist und diesen Geist an die Menschen weitergibt.
POW: Welche ersten Ideen haben Sie nach 100 Tagen im Amt?
Baumann: Wir werden den Gottesdienst am Montagabend in die Michaelskirche verlegen und wollen bewusst die umliegenden Gemeinden einladen, mit uns um geistliche Berufe zu beten. Die Sorge um die Berufungen gilt dabei auch den Orden und den Frauen und Männern, die als Pastoral- und Gemeindereferenten tätig sind. Dabei will ich nicht das Interesse daran verschweigen, dass sich die Zahl der Seminaristen erhöht.
POW: Im Priesterseminar gab es einen kompletten Wechsel in der Leitung. Wie hat das Haus dies „verkraftet“?
Baumann: Ich habe erst kürzlich wieder bemerkt, wie sensibel die kleine Hausgemeinschaft auf Veränderungen reagiert. So ganz ist der Wechsel noch nicht verkraftet. Die Studenten sind unsicher: Was kommt Neues auf uns zu? Ich bin ein anderer Typ als mein Vorgänger – darauf müssen sich die Studenten erst einstellen. Ich will das Haus mehr nach außen hin öffnen und die Öffentlichkeit mehr ans Seminar anbinden. Die Studenten haben hier Angst, ihren Schutzraum zu verlieren und dabei auch in ihrer eigenen Berufung angefragt zu werden.
POW: Im Haus selbst gab es große Veränderungen. Mittlerweile studieren auch die Bamberger Seminaristen in Würzburg. Wie wirkt sich dies auf die Hausgemeinschaft aus?
Baumann: Ich bin sehr zufrieden. Die Bamberger Studenten fühlen sich in Würzburg wohl und angenommen. Ich habe das Gefühl, das Zusammenleben klappt sehr gut. Zu den Zahlen: Im Priesterseminar wohnen derzeit vier Studenten aus Bamberg und neun Priesteramtskandidaten aus Würzburg; in Lantershofen leben weitere sechs Würzburger Studenten, und im Pastoraljahr befinden sich sechs Männer, die sich auf die Diakonenweihe vorbereiten. Außerdem sind vier Studenten im Freijahr, je ein Student studiert in Rom und München.
POW: Wer ins Seminar eintreten will, muss künftig zunächst ins Propädeutikum nach Bamberg. Welchen Zweck hat diese Neuerung?
Baumann: Es gibt drei Gründe, die die Bischöfe bewegt haben, dieses Vorbereitungsjahr einzuführen: Die Studenten beginnen das Theologiestudium zunehmend ohne Kenntnis der alten Sprachen. Diese Sprachen im Grundstudium zu lernen ist eine große Belastung. Das Propädeutikum ist eine Chance, die Sprachen vor Beginn des Studiums zu lernen. Weiter bietet dieses Jahr die Möglichkeit, die eigene Berufung anzuschauen und in die priesterliche Spiritualität einzuführen. Und drittens soll eine erste Auseinandersetzung mit dem Glauben und Leben der Kirche erfolgen.
POW: Ist diese Vorbereitung heute nötig geworden?
Baumann: Die meisten jungen Leute, die sich heute für das Priesteramt interessieren, kommen zumindest bei uns eher aus der Erfahrung der gemeindlichen Liturgie. Dadurch fühlen sie sich gerufen selbst den Weg als Priester zu gehen. In andere Bereiche – wie zum Beispiel in die Caritasarbeit – müssen sie erst noch eingeführt werden. Das Sozialpraktikum im Vorbereitungsjahr will hierbei helfen. Aber auch im Priesterseminar soll künftig ein stärkerer Bezug zu den karitativen Elementen hergestellt werden.
POW: Aus welchen Milieus kommen die Priesteramtskandidaten des 21. Jahrhunderts?
Baumann: Eher aus dem konservativen Milieu. Dieses für die Kirche günstige Milieu ist aber deutlich im Schrumpfen begriffen. Das bedeutet auch, dass die Ressourcen für Priesteramtskandidaten kleiner werden. Außerdem fällt auf, dass wir eher Leute haben, die nicht gleich nach dem Schulabschluss kommen, sondern nach einer Berufsausbildung oder nach dem Abbruch eines anderen Studienganges. Dadurch ist die Zahl der Spätberufenen deutlich größer.
POW: Welche Gründe sind heute ausschlaggebend für einen Eintritt ins Priesterseminar?
Baumann: Die Freude an der Liturgie spielt eine ganz wichtige Rolle. Zunehmend mit dem Studium wächst dann die Freude, Menschen mit dem Göttlichen, dem Heiligen in Kontakt zu bringen: die Liebe zu Verkündigung und Liturgie. Der Bereich Caritas ist dagegen noch nicht so mächtig ins Bewusstsein gerückt. Das müssen wir in der Ausbildung noch ausbauen. Politisches Engagement ist bei ganz wenigen zu beobachten. Einige sind eng mit der Ministrantenarbeit verbunden.
POW: Wie wollen Sie die Zusammenarbeit mit der Uni Würzburg gestalten?
Baumann: Es gab bereits ein sehr gutes Gespräch mit den Professoren der Theologischen Fakultät. Die Fakultät hat – wie inzwischen an vielen Universitäten und Fakultäten – den Bologna-Prozess in Angriff genommen und deshalb das Studium modularisiert. Diese Modularisierung wird im Wintersemester 2009/2010 in Kraft treten, nachdem Bischof und Ministerium dazu ihre Zustimmung gegeben haben. Für die Studenten heißt dies: Das Studium wird künftig eher verschult sein. Es gibt faktisch eine Anwesenheitspflicht bei den Vorlesungen. Der Abschluss ist dann nicht mehr das Diplom, sondern der Magister der Theologie. Ob und inwieweit dies Auswirkungen auf das Priesterseminar hat, wird man abwarten müssen.
POW: Im Bistum Würzburg werden die Pfarreiengemeinschaften errichtet. Wie werden künftige Priester darauf vorbereitet?
Baumann: Die Studenten müssen Formen finden, effektiv mit der eigenen Arbeitszeit umzugehen. Weiter ist die Art und Weise der Kommunikation wichtig: Kommuniziere ich so, dass es gewinnend ist oder dass es ausgrenzt? Das müssen die künftigen Priester einüben. Lernen müssen sie auch die unterschiedlichen Formen der Führungsarbeit. Teamarbeit gehört wesentlich dazu, aber auch der wache Blick für die verschiedensten Begabungen, die der Geist Gottes einer jeden Gemeinde schenkt. Nur miteinander kann Gemeindearbeit gelingen. Und noch etwas halte ich für wichtig: Die Angst zu nehmen vor den neuen Strukturen und stattdessen die Chancen deutlich zu machen, die die veränderten Bedingungen für eine Neuevangelisierung in sich bergen.
POW: Wie kann ein Priester spirituell wirken, wenn er von Termin zu Termin hetzt und von Verwaltungsaufgaben überhäuft wird?
Baumann: Das ist eine der entscheidenden Fragen der Ausbildung. Wir bilden hier Weltpriester aus, nicht Ordensleute. Weltpriester müssen sich selbst Raum und Zeit schaffen für Gottesdienst und Gebet. Das ist hier im Haus einzuüben, damit man geistlich handeln kann, gleichgültig ob es um Verwaltungsfragen geht oder um ein Beichtgespräch.
POW: Wie stark beeinflusst die Umstrukturierung der Pastoral die Entscheidung junger Menschen zum Priesterberuf?
Baumann: Bei den Studenten herrscht schon eine gewisse Furcht vor dem, was sie erwartet. Aber ich sage ganz schlicht: Lasst uns mutig beginnen. Wenn es Gottes Wille ist, wird er uns auch die nötige Kraft geben.
POW: Sind die neuen pastoralen Strukturen zu sehr auf den Priester fixiert, was Priester noch mehr belasten kann?
Baumann: Das kommt auf die Vorstellung vom Priesterberuf an: Wenn ich den Priester als jemand sehe, der sich um alles zu kümmern hat, dann ja. In dieser Form kann man künftig kaum mehr Pfarrer sein. Wenn ich als Pfarrer die Pfarreiengemeinschaft aber so organisiere, dass Menschen Raum und Zeit finden, Gottesdienst zu feiern, den Glauben zu verkünden und sich um den Nächsten zu kümmern und wenn ich selbst konkrete Aufgaben neben der Leitung übernehme, dann bekommt Seelsorge ein anderes Gesicht. Ich will sagen: Die Individualseelsorge wie sie in der Person des Pfarrer von Ars als Ideal im 19/20. Jahrhundert beschrieben wurde, ist nicht die einzig mögliche Form. Das ist auch ein Problem im Bistum: Wir haben ein enggeführtes Verständnis von Seelsorge. Nicht jeder, der zum Priester berufen ist, ist auch gleichzeitig zum Pfarrer berufen – allen Erwartungen der Gemeinden zum Trotz, die nur auf den Pfarrer warten. Wir brauchen hier eine größere Weite.
POW: Wie lassen sich heute junge Männer für den Priesterberuf gewinnen? Kann man darum werben?
Baumann. Wir müssen darum werben! Wir, die Priester, durch unsere Art Priester zu sein; unsere Familien, die ihren Söhnen Mut machen zu einem solchen Weg, statt sie davon abzuhalten. Auch wir hier im Haus wollen das unsere dazu beitragen: Ich will versuchen, alle Dekanate zu besuchen. Mit den Priestern des Seminars möchte ich für die Gemeinden abrufbar sein, um ihnen geistliche Impulse zu geben und unsere Erfahrungen mit den Studenten weiterzugeben. Dem Bischof möchte ich Mut machen – allem Priestermangel zum Trotz –, einen Priester frei zu stellen, damit dieser bei den Jugendevents präsent ist und junge Männer und Frauen auf den geistlichen Weg anspricht. Aber noch einmal: Der überzeugende Priester vor Ort ist nach wie vor die beste Werbung für den Priesterberuf, vor allem dann, wenn wir aufmerksam sind für die fragenden und suchenden jungen Menschen.
POW: Sollten mit Blick auf den Priestermangel die Zulassungsbedingungen geändert werden?
Baumann: Die Ehelosigkeit ist eine permanente Herausforderung für den Priester, sein Leben ganz und gar Jesus Christus zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, dass einer mit Christus in vielen Stunden allein bleibt, bindet ihn enger in die Gemeinschaft mit Christus – das sage ich auch angesichts vieler Gefährdungen, die dieses Alleinsein mit sich bringen kann, beispielsweise die Flucht in Alkohol. Ich sehe derzeit keine Chance, die Zulassungsbedingungen zu ändern. Ich bezweifle auch, ob wir dann mehr Priester hätten.
POW: Ist der Zölibat die zentrale Frage für die Studenten?
Baumann: Nein. Die Frage nach dem Zölibat stellt sich ganz entscheidend vor der Diakonenweihe. Im Seminaralltag sind eher die Fragen nach den künftigen Aufgaben entscheidend: Schaffe ich es, Leiter einer großen Pfarreiengemeinschaft zu sein? Kann ich dann mein geistliches Leben noch führen? Wie gelingt es, nach den Jahren im Priesterseminar draußen zu leben? Wie kann ich mich darauf vorbereiten?
POW: Welches Bild vom Priester 2020 haben Sie?
Baumann: Der Priester muss ein weites Herz haben, ein mitfühlendes Herz für die Menschen. Er muss ein theologisch fundiertes Wissen besitzen. Wenn wir die Predigten nicht sorgfältig vorbereiten, verscheuchen wir die Menschen. Die Gläubigen erwarten sehr viel von guten Predigten. Und vor allem: Der Priester der kommenden Jahrzehnte muss ein spiritueller Mensch sein, ein Mystiker, hätte Karl Rahner gesagt.
POW: Was möchten Sie sagen können, wenn Sie als Regens aus dem Amt scheiden?
Baumann: Es ist mir gelungen, neue Zuversicht und großes Vertrauen in die Herzen der jungen Leute zu säen.
POW: Warum lohnt es sich heute, Priester zu werden?
Baumann: Es gibt keinen großartigeren und vielfältigeren Beruf als den des Priesters. Es ist eine unglaublich vielseitige und spannende Aufgabe – ausspannend vom Himmel bis zur Erde.
(3208/0955; E-Mail voraus)
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