Liebe Hörerinnen und Hörer!
Welche Gedanken verbinden Sie mit Christi Himmelfahrt? Vielen ist dieses Fest längst fremd geworden. Deshalb tauchen – teils schon länger, teils seit kurzem – Ersatzformen auf, mit denen versucht wird, diesem Feiertag eine veränderte Bedeutung zu geben. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass diese Ersatzformen, die zunächst den christlichen Gehalt zu überlagern scheinen, nicht nur keine Konkurrenz für dieses Fest sind, sondern zu seinem tieferen Verständnis hinführen können. Sie bezweifeln das? Lassen Sie sich überraschen!
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1. Eine erste Wahrnehmung zeigt: Im Bewusstsein vieler Menschen hat der Vatertag das Fest Christi Himmelfahrt schon verdrängt. Natürlich sind feuchtfröhliche Männerausflüge an diesem Tag mit zeitweiliger Bewusstseinstrübung zum Abschluss nicht jedermanns Sache. Aber vielleicht haben diejenigen, die aus dem Himmelfahrtsfest den Vatertag machten, weil sie mit ihm nichts Rechtes anfangen konnten, ohne es zu wollen, genau das Entscheidende getroffen, wenn man es nur richtig sieht: Denn wir alle haben einen Vater, zu dem wir unterwegs sind. Jesus ist uns dabei vorausgegangen: Zu Gott, seinem Vater, der uns den Himmel zur Heimat machen möchte. Ich spüre natürlich den Einwand: „Wo kommen wir denn hin, wenn ...“? Wenn man den Vatertag christlich vereinnahmt? Aber genau diese Frage: „Wo kommen wir denn hin?“ führt zum Sinn des Festes. Es liefert ja keine wissenschaftlichen Informationen, wie sich die Rückkehr Jesu zum Vater vollzieht. Es sagt vielmehr in biblischen Bildern, was uns erwartet: Jesus eröffnet das Ziel unseres Lebens. Sein Weg zeigt uns, wo wir Menschen hinkommen, er macht deutlich, dass unsere Zukunft in einer unzerstörbaren Lebensgemeinschaft mit Gott liegt. Dafür gibt es das Wort „Himmel“. In unserer Umgangssprache ist es seltsam verflacht. Aber es meint für uns Christen nicht einen Ort jenseits der Sterne und bezeichnet auch kein zweites Stockwerk über unserer Wirklichkeit. „Himmel“ benennt vielmehr die tiefste Wahrheit des Lebens, seinen eigentlichen Sinn: Dass bei Gott Platz für uns ist, dass wir bei ihm über den Tod hinaus eine endgültige Heimat haben. Das setzt aber eine wichtige Einsicht voraus: Christi Himmelfahrt ist kein isoliertes Ereignis, das nur Jesus allein betrifft. Denn weil Gott in ihm unser Leben teilt, gehören wir dazu, sind wir gewissermaßen Weggefährten Jesu, der uns auf seinen Weg zum Vater mitnimmt. „Vater unser im Himmel“ – schon die einleitenden Worte dieses Gebetes machen deutlich: Jesus nimmt uns in seine Beziehung zum Vater hinein. Unsere entscheidende Zukunft besteht darin, dass für uns immer Platz im Leben Gottes ist. In der Himmelfahrt Jesu wird bereits ein Stück Menschheitsgeschichte ins Leben Gottes aufgenommen. Deshalb bietet das Fest Christi Himmelfahrt einen Ausblick auf unsere Zukunft. „Der Himmel geht über allen auf“ – so könnte man mit einem bekannten Kanon die Botschaft dieses Tages ins Wort bringen. Freilich müssen wir uns immer wieder dem kritischen Einwand stellen: Wenn ihr Christen den Himmel als Ziel des Lebens angebt, wertet ihr dann nicht die Erde ab? Das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil Gott im Weg Jesu deutlich macht, dass er unser Leben teilt und die Welt nicht einem blinden Schicksal überlässt, wird die Erde aufgewertet und neu unserer Sorge anvertraut. Das wird deutlich, wenn Jesus vor seiner Rückkehr zum Vater den Jüngern den Auftrag gibt: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16,15). Das bedeutet doch: Die Erde als Gottes Schöpfung wird nur ernst genommen, wenn sie dem Menschen nicht zur bloßen Ausbeutung für seine Bedürfnisse dient, sondern immer wieder neu in den größeren Horizont der frohen Botschaft von Gottes Liebe gestellt wird. Und diese Liebe will nicht die Vernichtung, sondern die Vollendung der Welt. Im letzten wird also die Erde nur ernst genommen, wenn wir vom Himmel nicht schweigen. Insofern stellt uns das Fest Christi Himmelfahrt kritische Fragen, ja es stellt uns in Frage: Begnüge ich mich mit rein innerweltlichen Erfüllungen oder lasse ich durch Jesus meinen Horizont so erweitern, dass Gott als Ziel unseres Lebens neu in den Blick kommt? Die Alternative heißt also nicht: Christi Himmelfahrt oder Vatertag – es geht darum, durch Jesus Gott als unseren Vater neu zu entdecken, der uns ein Leben in Fülle ermöglicht.
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2. Kürzlich hat eine lautstark vorgetragene Forderung aus humanistischen Kreisen Aufsehen erregt: Ein Evolutionsfeiertag soll künftig das Fest „Christi Himmelfahrt“ ersetzen. Die Initiatoren argumentieren, dass der Staat damit dem Umstand Rechnung tragen solle, dass mittlerweile in Deutschland die Zahl der Konfessionslosen bzw. der erklärten Atheisten höher sei als die der registrierten Katholiken und Protestanten. Dies müsste sich auch in der Feiertagsregelung niederschlagen. Christi Himmelfahrt eigne sich für eine solche Umwidmung ganz besonders, denn die Rede vom Himmel sei heute überholt. An einem solchen Tag müsse vielmehr ganz deutlich an die innerweltliche Abstammung des Menschen aus dem Tierreich erinnert werden. „Mich laust der Affe“ – so hat eine große Zeitung doppelsinnig diesen Vorschlag kommentiert. Aber wenn wir als Christen unseren Glauben erst nehmen, brauchen wir uns nicht einmal darüber aufregen: Zum einen sind naturwissenschaftliche Erkenntnisse und der Glaube an einen Schöpfergott, der unser Leben ins Dasein ruft und auch vollenden wird, keine Widersprüche. Die eine Wirklichkeit unseres Lebens kann durchaus von unterschiedlichen Perspektiven her betrachtet werden, die einander ergänzen. Kurz gesagt: Die Evolutionslehre beschreibt den Weg der Entwicklung, das „Wie“. Der Glaube fragt nach dem Sinn des Ganzen, nach dem „Wozu“. Was nun Christi Himmelfahrt betrifft, kann der Gedanke vom „Evolutionstag“ durchaus wieder zum richtigen Verständnis hinführen. Denn dieses Fest markiert eine Entwicklung – allerdings nicht im Sinn eines Naturablaufs, sondern im Erkennen dessen, wie sich „Erlösung“ auswirkt. Auf die Spur dazu kann uns die Zahl 40 bringen, die in diesem Zusammenhang eine aufschlussreiche Bedeutung hat. Im 6. Jahrhundert findet sich bei Papst Gregor dem Großen der Gedanke, dass 40 die Zahl der Entwicklung sei – vierzig Jahre seien z. B. nötig, um ein Mensch des Geistes zu werden. Im Rückgriff auf das biblische Zeugnis denkt er dabei an die große Krisen- und Reifezeit des Volkes Israel auf seinem vierzigjährigen Zug durch die Wüste. Die Zahlenbedeutung lässt sich aber auch auf das Kirchenjahr anwenden: Wir haben 40 Tage Fastenzeit gehalten, um uns von dem zu reinigen, was ein Leben aus dem Geist Gottes behindert. Die 40 Tage von Ostern bis Christi Himmelfahrt wiederum bedeuten, dass Jesu Auferstehung Zeit braucht, um in uns einzudringen und wirksam zu werden – ähnlich wie bei seinen Jüngern. Wenn Jesus nun zum Vater heimkehrt, wird damit einerseits eine bestimmte Entwicklung – die seines irdischen Wirkens - abgeschlossen und zugleich eine neue eröffnet: Die Jünger sollen ihm künftig nicht mehr nur äußerlich folgen. Durch die versprochene Sendung des Geistes will Jesus vielmehr ihr innerer Meister werden, der ihr Denken, Fühlen und Handeln verwandelt und neue Energien freisetzt. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und ihr werdet meine Zeugen sein bis an die Grenzen der Erde“, heißt es zu Beginn der Apostelgeschichte (Apg 1,8). Wer Christi Himmelfahrt als Evolutionstag feiern will, eröffnet also gegen seine Absicht durchaus einen Zugang zum richtigen Verständnis: Christi Himmelfahrt ist ein Fest der Entwicklung unseres Glaubens, der von einer persönlichen Überzeugung zum weltweiten Zeugnis wird. Freilich ist diese Entwicklung kein Naturgesetz, sondern fordert immer wieder neu Erkenntnis und Entscheidung. An den Jüngern Jesu wird dies deutlich: Sie möchten Jesus am liebsten festhalten, aber sie müssen erkennen, dass erst im Loslassen eine neue Qualität der Gemeinschaft im Glauben ermöglicht wird: Indem Jesus den Bereich des Wahrnehmbaren verlässt, wird seine Gegenwart auf neue Weise verinnerlicht - er beschenkt die Jünger nämlich mit einer ganz intensiven Geistesgegenwart, die sie fähig macht, ihre engen Grenzen zu überschreiten und überall in seinem Auftrag zu wirken. Indem Jesus die Jünger verlässt, geht er rein vordergründig zwar von ihnen weg, indem er Raum und Zeit enthoben ist. Aber gerade dadurch entsteht eine viel dichtere Nähe: Jesus verlässt sich in einer neuen Weise auf sie, indem er sie in seinem Namen zu den Menschen sendet. Diese Entwicklung ist ein Reifungsprozess im Glauben, der auch uns nicht erspart bleibt: Auch wir möchten Jesus gern festhalten – in unseren gewohnten Vorstellungen und liebgewordenen Erfahrungen. Auch von uns verlangt er loszulassen, aus seinem Geist heraus neue Erfahrungen zu machen und sie anderen zu bezeugen. Auch wir dürfen uns dabei wie die Jünger von seinem Vertrauen getragen wissen, das er uns niemals entzieht. Christi Himmelfahrt als Evolutionsfest? Wir könnten sogar noch einen Schritt weitergehen. Wer Jesus wirklich ernst nimmt, kann Christi Himmelfahrt als Revolutionstag sehen weil er eine ganz radikale Umkehr bestehender Gewissheiten zum Ausdruck bringt. Aus dem Weggehen entsteht kein Verlust, sondern neue, ganz intensive Nähe; aus dem Loslassen wird keine Leere, sondern der Gewinn eines neuen, erfüllten Glaubens, der als Geschenk zum Weitergeben vielen zugute kommt. Mit dem Fest Christi Himmelfahrt wird uns freilich auch jedes Jahr neu die Frage gestellt, ob wir bereit sind, diesen Reifungsvorgang in der Entwicklung des Glaubens mitzumachen. Auch uns verspricht Jesus dabei die Hilfe durch seinen Geist.
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3. Ein weiterer Versuch, das Fest Christi Himmelfahrt umzudeuten, kommt heuer von daher, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland demnächst 60 Jahre alt wird. Man solle doch diesmal Christi Himmelfahrt verstärkt als den Jubiläumstag der Verfassung begehen, war von verschiedenen Seiten im Vorfeld zu hören. Ich meine, auch hier ist vorschnelle Empörung verfehlt. Christi Himmelfahrt als Verfassungstag – warum nicht? Denn die Abschiedsworte Jesu an seine Jünger enthalten durchaus entscheidende Hinweise auf die Verfassung – aber nicht auf ein politisches Grundgesetz, sondern auf die Verfassung des Reiches Gottes. Interessant ist der Anfang der Apostelgeschichte im Neuen Testament. Dort wird das Wort Jesu überliefert: „Ihr werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft“ (Apg 1,5). Dann heißt es weiter: „Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich Israel wieder her?“ (Apg 1,6) Aus diesem Dialog wird deutlich: Die Frage der Jünger zeigt, dass sie immer noch in innerweltlichen Denkstrukturen verhaftet sind. Jesus aber geht es nicht um ein politisches Machtsystem, das wieder nur Gewalt und Konflikte hervorbringt. Das Reich Gottes, das er seinen Jüngern verkündet hat, ist anders. Es ist weder rein innerweltlich diesseitig noch bloß jenseitig überirdisch. Wenn wir im Vaterunser beten: „Dein Reich komme“, dann ist in diesen wenigen Worten eigentlich schon das Wesentliche enthalten. Denn dahinter steht das zentrale Anliegen Jesu, Gott zur Geltung zu bringen, indem sich seine Liebe durchsetzt. In Jesus ist diese Herrschaft Gottes schon da und kann nicht mehr aus der Welt verdrängt werden, auch wenn sie oft genug die Form des Geringen und Unscheinbaren annimmt – bis hin zur Ohnmacht am Kreuz. Aber gerade darin zeigt sich, wie weit Gott für die Welt und ihre Menschen geht und welche Perspektiven er uns dadurch eröffnet: Weil Gottes Wege so tief hinunter führen, gibt es nichts, was von vornherein seiner Liebe entzogen wäre. Leiden und Sterben werden dadurch nicht verharmlost, aber sie erfahren eine Umwertung: Der Weg in den scheinbaren Zerfall und die Vernichtung wird durch Jesus ein Weg zum Leben Gottes, das sich als Liebe und Treue gerade in den extremen Situationen bewährt. „Dein Reich komme“ – diese Bitte müsste uns freilich auch erschrecken lassen über die vielen Formen des Bösen, die sich in uns und um uns dem Ankommen dieser Gottesherrschaft entgegenstellen, wenn wir Vorletztes und Zweitrangiges zum zentralen Lebensinhalt machen, indem wir nach Selbstgeltung, Erfolg und Besitz streben - oft genug auf Kosten anderer. Doch nur da, wo Gottes Herrschaft als Macht seiner Liebe sich verwirklicht, wird der Mensch auch heil, nämlich ge-heilt vom Bösen. Wenn wir um das Kommen des Reiches Gottes beten, liegt darin eine Spannung zwischen Gabe und Aufgabe: Es ist Geschenk Gottes, das aber nur der empfangen kann, der Jesus auf seinem Weg zu den Menschen folgt und unter Einsatz aller Kräfte mithilft, dass Gottes Liebe immer wieder neu erlebbar wird. „Dein Reich komme“ – mit diesen Worten bitten wir auch jedes Mal um die Bereitschaft, unser Leben aus der Kraft dieser Liebe zu gestalten und unser Wollen an Gottes Willen auszurichten. Deshalb ist es wichtig, innerweltliche Ereignisse und Strukturen immer wieder auf Gott hin transparent zu machen. Dabei denke ich wieder an unser deutsches Grundgesetz. Es beginnt nämlich mit den Worten: „Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen ...“. Es bringt damit zum Ausdruck, dass jedes Gemeinwesen von Werten und Voraussetzungen lebt, die es selbst weder schaffen noch garantieren kann. Man hat diesen Gottesbezug in der Verfassung oft als Vermischung von Recht und Religion kritisiert. Aber Gott hat es nicht nötig, durch die Hintertür in die Politik eingeführt zu werden. Es geht vielmehr um die Erkenntnis eigener Grenzen und um die Offenheit für eine Transzendenz, die Raum für Gottes Wirken auf allen Ebenen des menschlichen Zusammenlebens lässt. Ein Zwang zum Glauben lässt sich daraus überhaupt nicht ableiten – eher eine Einladung zum Nachdenken darüber, was unser Leben trägt. Christi Himmelfahrt als Verfassungstag? Auch dieser Gedanke kann, so seltsam er zunächst wirkt, Wesentliches vermitteln: Die Verfassung des Reiches Gottes baut auf der Erfahrung auf, dass sich Gott in Jesus beim Wort nehmen lässt. Unsere Antwort auf diese Initiative zeigt sich darin, dass wir füreinander Ver-antwortung wahrnehmen – so, wie es dem Auftrag Jesu entspricht, als er vor seiner Rückkehr zum Vater den Jüngern die Vollmacht gibt, in seinem Namen unter den Menschen zu wirken. Dabei nimmt er auch unsere Fragen und Unsicherheiten ernst, die wir nicht vor ihm zu verstecken brauchen. Was der Auferstandene seinen Freunden sagt, dürfen wir als Ermutigung auch auf uns beziehen, wenn es bei Matthäus heißt: „Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. ... Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28, 16-18; 20b).
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Liebe Hörerinnen und Hörer!
Jesus nimmt uns mit auf den Weg zum Vater. In dieser Gewissheit dürfen wir gerade am Fest Christi Himmelfahrt miteinander und füreinander das Gebet sprechen, das er uns geschenkt hat:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseres Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
In dieser Gewissheit segne uns alle der barmherzige und treue Gott: + Der Vater + und der Sohn + und der heilige Geist. Amen.