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Kirche im Wirtschaftswunderland

Domschul-Tagung „Jahre des Umbruchs“ zur Landesausstellung 2009 „Wirtschaftswunder und Wiederaufbau“ – Kirchliche Neuordnungsstrategien 1945 bis 1960 – Kirchenbau in der Nachkriegszeit: Kontinuität und Neuanfang

Würzburg (POW) Würzburg steht ganz im Zeichen der Bayerischen Landesausstellung 2009 „Wirtschaftswunder und Wiederaufbau“ – und die Katholische Akademie Domschule ist mittendrin. Gemeinsam mit der Katholischen Akademie in Bayern veranstaltete sie am Eröffnungswochenende die Tagung „Jahre des Umbruchs“. Thema waren am 8. und 9. Mai die Neuanfänge in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg.

Für die Kirchen schien die Zeit nach 1945 einen triumphalen Aufstieg einzuleiten. Sie hatten die NS-Diktatur überstanden und schienen die einzige Instanz zu sein, die das entstandene Wertevakuum füllen konnte. Doch der Eindruck täuscht. Privatdozent Dr. Benjamin Ziemann von der Universität Sheffield zeigte in seinem Vortrag „Die doppelte Enttäuschung“, dass die kirchlichen Neuordnungsstrategien der Jahre 1945 bis 1960 ins Leere liefen. Die Kirchen seien zwar voll gewesen nach 1945, sagte Ziemann, und die Bischöfe hätten eine umfassende Rechristianisierung für möglich befunden. Das Christentum habe zu einer tragenden Säule des sozialen und politischen Wiederaufbaus werden sollen. Doch obwohl die Zahl der Gottesdienstbesucher angestiegen sei, sei sie dennoch deutlich hinter den Zahlen von vor 1933 zurückgeblieben. Schon 1948 hätten die Austritte aus den beiden christlichen Kirchen die Eintritte deutlich hinter sich gelassen. Die scheinbar guten absoluten Zahlen hätten darüber hinweggetäuscht, dass ein eigentliches christliches Lebensgefühl gefehlt habe, viele nur aus Tradition in die Kirche gegangen seien und andere nur eingetreten seien, weil sie sich dadurch Vorteile bei der Entnazifizierung erhofft hätten. Als erste Enttäuschung sei es also nicht zu einer Re-, sondern zu einer weiteren Dechristianisierung gekommen.

Dem hätten Seelsorgeämter und Ordensgemeinschaften mit so genannten „Volksmissionen“ in Form von „Gebietsmissionen“ begegnen wollen. Auf der ordensübergreifenden Missionskonferenz von 1952 habe der Redemptoristenpater Viktor Schurr die entscheidenden Impulse gegeben. Ziel sei die „Wiedereinpflanzung der kirchlichen Gemeinschaft in der Pfarrei oder einem ganzen Gebiet“ gewesen. Als entscheidende Neuerung sollte in der Nachfolge der französischen Seelsorgebewegung eine soziologische Erfassung erfolgen, um herauszufinden, welche gesellschaftlichen Strukturen einer Rechristianisierung entgegenstünden. Moderne Massenmedien, neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und das berufsbedingte Pendlertum seien als wichtige Faktoren ausgemacht worden. Neue kirchliche Sozialforschungsinstitute hätten dann begonnen, das Milieu zu erforschen. Doch die auf ihren Erkenntnissen basierende Gebietsmission habe bist 1960 so gut wie keine Erfolge gezeitigt – die zweite Enttäuschung. Als einzigen Erfolg habe die Kirche ein realistisches Wissen um Klassen und Schichten als Voraussetzung für ihr Handeln verbucht. Dieses sei immerhin als unerlässliche Vorbereitung für die Öffnung zur Welt im Zweiten Vatikanischen Konzil zu verstehen.

Einen echten Umbruch bedeutete die Nachkriegszeit allerdings beim Kirchenbau. Die Bamberger Kunsthistorikerin Dr. Barbara Kahle konstatierte hier einen „hoffnungsfrohen Neubeginn“ und eine „Aufbruchssituation“. Das Bistum Würzburg habe einen wesentlichen Anteil an dieser Aufbauleistung gehabt. Weniger Kriegszerstörungen als vielmehr eine angenommene Bevölkerungszunahme seien dafür der Impuls gewesen. Tatsächlich seien rund 250.000 heimatvertriebene Katholiken in das Bistum gezogen. Architektonisch sei die Diözese bis zum Krieg eher traditionsbehaftet gewesen. Das habe sich nach 1945 radikal geändert. Bis 1968 zähle man 139 Neubauten, 28 Erweiterungen, 35 Umbauten und 22 Wiederaufbauten. Die prägende Persönlichkeit dieser Zeit sei Hans Schädel als Leiter des 1946 eingerichteten Bischöflichen Bauamts gewesen. Würzburgs junger Bischof Julius Döpfner sowie Benediktinerpater Urban Rapp hätten Schädel in seiner Arbeit maßgeblich unterstützt.

Die Zielrichtung nach dem Krieg habe gelautet, „das Verlorene nicht mehr zu wiederholen, sondern in der Zerstörung die Chance eines Neuanfangs zu sehen“. Dabei sollten „Schlichtheit, Klarheit und Transparenz“ das neue Bauen bestimmen. „In jedem Fall sollte eine Abkehr von dem schweren Monumentalstil der Nazi-Vergangenheit erfolgen“, erläuterte Kahle. Stattdessen habe die Architektur an die formalen Experimente der 1920er Jahre angeknüpft. „Der einschiffige Längsraum, zum Teil noch begleitet von einem niedrigen Seitenschiff, Oberlichtfenster und gesteigerte Lichtfülle im Altarraum gehörten nun zum Standardprogramm.“ Zeichen der Erneuerung sei der freistehende Glockenturm geworden. Stahl und Beton seien zu den dominierenden Werkstoffen geworden. Mit ihnen habe man das Programm „Transparenz, Leichtigkeit und Dynamik“ umsetzen wollen. Schädels Kirche Sankt Alfons in Würzburg, im Volksmund „Sprungschanze Gottes“ genannt, ist hierfür ein Musterbeispiel. Der betont große Innenraum gewinne Dynamik durch die Schräge als zeittypisches Stilmerkmal. Der Altar stehe dominant im Mittelpunkt des Geschehens: „Beherrschend ist die betonte Führung der Sicht-Spannungslinie auf das abschließende Glasfenster oder Wandgemälde“ hinter dem Altar – in Sankt Alfons mit dem Thema der Apokalypse.

Für die Phase des Wiederaufbaus habe der Bonner Kirchenhistoriker Theodor Klauser im Auftrag der Liturgischen Kommission der Fuldaer Bischofskonferenz „Richtlinien für die Gestaltung des Gotteshauses aus dem Geist der römischen Liturgie“ zusammengestellt. Im Zentrum habe dabei die eucharistische Opferfeier stehen und als Herz der Gesamtanlage der Altar frei stehen sollen. Einem dominanten Zentralbau sei eher eine Absage erteilt worden, dennoch sei oft gerade diese Form verwirklicht worden, wie etwa in Würzburg-Heilige Familie. In der Bauakte heiße es, „dass sowohl für den Priester wie für die Gläubigen der zentralförmige Raum unserer Zeit am besten entspricht, da er enge Beziehung zwischen Priester und Volk ermöglicht“. Verwirklicht worden sei dann ein sechseckiger Grundriss, in dem Chor und Eingangswand nach außen geweitet worden seien. Die Orientierung hin auf die Gemeinde zeige sich auch in der Umgebung der Kirche. Bei Schädel finde sich typischerweise der Kirchenbau als Mittelpunkt der Zentralanlage mit konfessionellem Kindergarten, einem Brunnen, eigenständiger Tauf- und Werktagskapelle sowie einem Atrium als Kommunikationsbereich. Dieser Innenhof als Übergangsbereich findet sich in der „Heiligen Familie“.

Heute, im Zuge der Nobilitierung der Architektur wirkten die damals aufsehenerregenden Bauten eher bescheiden, sagte Kahle. Sie seien in einer Zeit des Experimentierens entstanden mit einer Faszination für Rationalismus und konstruktive Leichtigkeit. Beschworen worden sei der Gedanke des unbehausten Menschen, der von der Kirche auf die wandernde Gemeinde hin konkretisiert worden sei. Architektonisch habe er oft in der Zeltform als Symbol von Schutz und vorläufiger Wohnung Ausdruck gefunden. Inzwischen seien diese Bauten zu Identifikationsorten geworden, zu Orten des gelebten und gefeierten Glaubens. Das solle bedacht werden bei Entscheidungen, Kirchen dieser Zeit wegen Baufälligkeit aufzugeben.

Vorträge zur Geschichte der Nachkriegszeit hielten die Historiker Professor Dr. Werner K. Blessing (Universität Erlangen-Nürnberg) und Professor Dr. Dirk Götschmann (Würzburg). Aufschlussreiche und überraschende Einblicke in das Lebensgefühl der Zeit gab der Komponist, Autor und Hochschuldozent Christian Pfarr im Vortrag „Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere“.

Jerzy Staus (POW)

(2009/0581; E-Mail voraus)

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