Liebe Mitbrüder,
In der kleinen Hauskapelle des Kölner Priesterseminars hängt ein ungewöhnliches Herz-Jesu-Bild: In der
Mitte steht lebensgroß Jesus barfuß und aufrecht, in ein härenes Büßergewand gekleidet, die Hände
übereinander gelegt nach unten weisend. Der Kopf ist ein wenig geneigt, die Augen sind fast
geschlossen, der Blick nach innen gerichtet.
Dieses Ölgemälde stammt aus der Kölner Kartause und wurde um 1445 gemalt. Es wird offiziell als „der
gebundene Christus“ bezeichnet. Gerade die feingliedrigen Hände, die so übereinander gelegt sind, als
wären sie gebunden, ziehen den Blick auf sich. Christus steht lebensgroß schweigend da. Das
grau/violette Gewand der Kartäuser umhüllt den Körper, der ganz Hingabe ausdrückt. Kein Augenkontakt
mit dem Betrachter ist möglich, kein Dialog. Die Botschaft, die von diesem gebundenen Jesus ausgeht ist
in einem Schriftband zu lesen, das sich wie ein Fragezeichen um den Heiligenschein und die Gestalt legt:
„Discite a me quia mitis sum et humilis corde“ – „Lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen
demütig.“
Dieser Ausspruch ist aus dem elften Kapitel des Matthäusevangeliums genommen und spricht vom
leichten Joch Jesu und von der Ruhe, die er zu geben vermag. Der kleine Abschnitt lautet: „Kommt alle
zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt
mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe
finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,28-30)
Liebe Mitbrüder, am heutigen Montag in der Karwoche kommen wir hier in unserem Dom zusammen, um
ein wenig auszuruhen von den Lasten, die wir zu tragen haben. So eben haben wir im Vortrag von
Bischof Genn über unsere Berufung gehört, ein Geschehen, das sich wie ein großer Bogen durch die
ganze Heilsgeschichte zieht. Gott ruft und beruft immer wieder Menschen auf verschiedene Weise – aber
immer ganz und bestimmt. Er verspricht dabei kein einfaches Leben. Er sagt keinen Erfolg zu und
verspricht erst recht nicht Karriere. Unsere Nachfolge steht oft im Widerspruch zu den verlockenden, aber
auch trügerischen Angeboten in unserer Gesellschaft. Der Ruf Christi in seine Nachfolge ist ein Ruf in die
Kreuzesnachfolge.
Und doch ist diese Berufung ein Hineinholen in seine hingebungsvolle Liebe. Jesus weiß, dass er nicht
wenig verlangt. Wenn er sagt: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein
Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Lk 9,23), dann fordert er alles. Wir können nicht nur einige Stunden
oder nur bestimmte Zeiten im priesterlichen und diakonalen Dienst verbringen. In diesem Sinne gibt es
auch keinen eigentlichen ‚priester- oder diakonenfreien Tag’. Die uns durch die Weihe geschenkte
Teilhabe am ordo, an der Lebensfülle Jesu Christi, ist eine unser ganzes Leben, ja, jeden Atemzug
umfassende Wirklichkeit. Aber dies bedeutet keine bedingungslose Hingabe ohne Grund. Jesus Christus
ist „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ (Credo). Er sagt selbst von sich: „…von
Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern
er hat mich gesandt.“ (Joh 8,42) In dieser göttlichen Sendung und Machtfülle liegt auch die Ermöglichung
unserer Nachfolge. Auch wir sind berufen und gesendet. Als Lohn ist uns nichts weniger als das ewige
Leben verheißen (vgl. Lk 9,24). Jesus Christus selbst ist der Siegespreis.
Und er verweist darauf, dass diese täglich von uns geforderte und sich ereignende Hingabe ein
Hineingehen in seine Liebe ist. Er weiß um unsere Mühen, Plagen und Lasten. Er hört auch unser
sanftes Stöhnen. Deshalb lädt er uns ein, freiwillig sein Joch auf uns zu nehmen und auf ihn zu schauen,
um von ihm zu lernen, was Güte und Demut bedeuten.
Dies bedeutet für uns, dass wir uns auch täglich Zeit nehmen zum Breviergebet und zum persönlichen
Gebet, zur Anbetung vor dem Tabernakel, die Heilige Schrift lesen – nicht nur, wenn wir Texte für die
Predigt auslegen wollen. Wir brauchen immer wieder die Gewissheit Seiner Nähe und Seines Bei-unsseins.
Dies bedeutet aber auch, dass wir uns Zeit nehmen dürfen für einander. Nehmen wir uns in den Blick und
laden wir uns gegenseitig ein. Feiern wir miteinander, denn wir begegnen Christus auch im Nächsten. So
mancher ältere und kranke Mitbruder ist froh, wenn er von uns besucht wird oder eine Einladung zum
Mitfeiern bekommt. Und so mancher Mitbruder in der Schul- oder Kategorialseelsorge ist froh, wenn er
von uns dabei nicht vergessen wird.
Haben wir keine Angst, auch von einem Mitbruder Hilfe zu erbitten, wenn es uns schlecht geht. Wir sind
oft darauf ausgerichtet immer die Helfenden, Heilenden und Mitleidenden zu sein. Aber so manches Mal
brauchen auch wir Verständnis, Rat und Hilfe. Nach Jesu Wort dürfen wir dies alles auch selbst in
Anspruch nehmen.
Der offene Erfahrungsaustausch tut uns allen gut und hilft uns über so manche Klippe hinweg.
Auf dem Kölner Bild „der gebundene Christus“ kniet unten links ganz klein ein Kartäusermönch. Seine
Hände sind offen zu Christus hin ausgerichtet. Das gleichsam aus seinem Mund aufgerollte Spruchband
lässt uns lesen: „Miserere mei deus secundum magnam misericordiam tuam.“ – „ Erbarme dich meiner, o
Gott, nach deiner großen Barmherzigkeit.“ Amen.