Liebe Schwestern und Brüder!
Mit dem heutigen ersten Adventssonntag beginnen wir das neue Kirchenjahr, zu dem ich Euch alle sehr herzlich grüße. In den kommenden Wochen des Advents sind wir eingeladen und aufgerufen, uns neu auf das Geheimnis der Menschwerdung Gottes zu besinnen. Er selbst steht vor unserer Türe und klopft an, damit wir ihn bei uns einlassen und er Raum gewinnt in unserem eigenen Leben. Im Gebet des Engel des Herrn bekennen wir mit den Worten aus dem Johannesevangelium die Wahrheit dieses Geheimnisses: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt!“ (Joh 1,14) Die Vorgeschichte dazu ist das Ja-Wort, das Maria Gott gegeben hat. Durch ihre Bereitschaft konnte und wollte Gott sein Vorhaben verwirklichen und Mensch werden.
Papst Benedikt XVI. stellte bei seiner Ansprache in der Vesper in Altötting anlässlich des Pastoralbesuches in seiner Heimat heraus, dass wir aus dieser Erzählung der Begegnung Mariens mit dem Engel, auch das Geschehen unserer Berufung kennen lernen können. Denn auch in „unsere Stube tritt der Engel nicht sichtbar ein, aber mit jedem von uns hat der Herr seinen Plan, ein jeder wird von ihm bei seinem Namen gerufen.“
In Jesus Christus hat er unser Leben ein für alle mal angenommen, um es für immer mit uns zu teilen. Das ist das stabile Fundament unseres christlichen Glaubens. Das ist und bleibt ein guter Grund zum Leben, zum Staunen und zum Danken.
Mit dem heutigen ersten Advent startet in unserem Bistum eine Berufungsinitiative, die ein verstärktes Bewusstsein für die Berufung eines jeden Menschen aber auch besonders für die Berufung zu einem Leben als Priester oder als Diakon und Ordenschrist wecken soll.
Mit drei wesentlichen Stichworten bringt die Überschrift „Mensch – Christ – Mut zu mehr“ auf den Punkt, worum es in der Berufungsinitiative geht:
Sie will uns daran erinnern, dass es in unserem Leben und in unserem Glauben um unsere eigene Menschwerdung geht. Zunächst ist unser Leben ein Geschenk, eine Gabe Gottes, die, wenn wir sie annehmen, auch zur Aufgabe wird. Niemand von uns hat sich selbst erschaffen. Gott hat uns ins Dasein geliebt und in der Taufe bei unserem Namen gerufen. Ihm verdanken wir unser Leben. Er ist unser Schöpfer. Wir sind seine geliebten Ebenbilder. Deshalb liegt unser Menschsein Gott am Herzen. Unsere Menschwerdung ist ihm ein großes Anliegen. Das klingt zunächst so selbstverständlich, oft spüren wir jedoch, wie unser Menschsein bedroht und gefährdet ist. Lebenseinstellungen, die nur materialistisch ausgerichtet sind, stellen unser Menschsein in Frage. Wo es nur um Profit und Konsum geht, bleibt der Mensch auf der Strecke. Achten und schätzen wir darum das Geheimnis, die Würde und den Wert unseres Lebens als persönliches Geschenk Gottes an uns. Hören und antworten wir auf sein schöpferisches Ja-Wort, mit dem er uns ins Leben gerufen hat. Immer sind wir von ihm angesprochen und berufen, darauf Antwort zu geben.
Unser Christsein kann sich nicht darin erschöpfen, anständig und nett zu sein. Das ist zwar wichtig, aber das tun manchmal Nichtchristen oft ebenso. Es gehört wesentlich zu unserem christlichen Glauben, dass wir uns auf Jesus Christus berufen und unser Leben immer neu nach ihm ausrichten. Er ist der Ursprung unseres Glaubens. In ihm wohnt die ganze Fülle Gottes. Er verkündet und verkörpert die leidenschaftliche Liebe und das Erbarmen Gottes zu allen Menschen. Dafür hat er sein Leben hingegeben bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,8).
Christsein ist keine beliebige Nebensache sondern eine zentrale Berufung. Wir sind von Christus erwählt, in Freundschaft mit ihm zu leben und daraus Frucht zu bringen.
Frucht der Liebe ist es, wenn Eheleute das Sakrament ihrer Liebe im Alltag leben und in die jeweiligen Lebensumstände übersetzen.
Frucht der Liebe ist es, wenn sie ihre Kinder im Geiste Jesu und der Kirche erziehen und ins Leben begleiten.
Frucht der Liebe ist es, wenn sich Frauen und Männer ehrenamtlich oder hauptberuflich in der Kirche engagieren.
Frucht der Liebe ist es, wenn Priester und Diakone ihren Dienst aus der im Weihesakrament durch Christus gegebenen Vollmacht und Sendung tun und so den Menschen begegnen.
Frucht der Liebe ist es, wenn Frauen und Männer nach dem Evangelium als Ordenschristen leben und ihn durch ihr Leben bezeugen.
Mehr denn je brauchen wir Menschen in den gegenwärtigen Umbrüchen und Herausforderungen unserer Zeit Ermutigung. Das gilt ebenso für unsere Kinder und Jugendlichen, als auch für die Erwachsenen und Alten. Die oft so notwendende und heilende Alltagsform der Liebe ist die Ermutigung. Wenn wir unsicher, ängstlich oder enttäuscht sind, stärkt sie uns den Rücken und richtet uns auf.
Als Christen dürfen wir uns nicht verstecken oder verängstigt zurückziehen in eine vermeintlich fromme Kuschelecke. Wir sind gefordert, uns offensiv einzubringen. Christus selbst sendet und beauftragt uns dazu täglich neu, Salz der Erde und Licht für die Welt zu sein (vgl. Mt 5,13f). Durch uns will er in der Welt von heute gegenwärtig sein und wirken. Das ist ein hoher Anspruch. Das bleibt immer ein Wagnis der Liebe – aber eben darin liegt der „Mehrwert“ unseres Glaubens.
Schmerzlich spüren wir den Ordens- und Priestermangel. Wir brauchen heute junge Menschen, die sich dem Anruf Jesu Christi öffnen und diese Berufung anerkennen. Um dieses drängende Anliegen aufzugreifen, bitte ich Euch alle um Euer Gebet und Lebenszeugnis, das junge Menschen ermutigt, sich neu der Berufungsfrage zu stellen.
Darum lade ich Euch alle ein, neu nachzudenken und ins Gespräch zu kommen über die Schönheit, das Geschenk und den Wert unseres christlichen Glaubens. Gerade unsere Gruppen und Gremien können ein bevorzugter Ort für ein solches Gespräch sein.
Betet erneut und verstärkt um das Wachsen und die Entwicklung von geistlichen Berufungen, ohne die wir als Kirche nicht lebens- und zukunftsfähig sind.
Ich lege Euch hier auch die Gestaltung des monatlichen Gebetstages um geistliche Berufe besonders ans Herz.
Bringt gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck und ermutigt junge Menschen auf dem Weg, als Priester oder Ordensleute die Freundschaft mit Christus zu leben.
Zum Auftakt dieser Initiative werden Berufungskerzen in alle Gemeinden und Gemeinschaften unserer Diözese verteilt. Mögen diese Kerzen die Begeisterung in uns für Christus neu entfachen, damit wir für ihn Feuer und Flamme werden. Möge daraus eine neue Lichterkette von betenden Menschen entstehen, die mitwirken am Netzwerk des Guten. Mögen sie zum Zeichen werden für viele zündende Ideen und überspringende Funken für ein entschiedenes Leben mit Christus.
Darum bete ich mit Euch. Dazu segne ich Euch.
Würzburg, zum 1. Adventssonntag 2006
Friedhelm, Bischof von Würzburg
(4906/1745; E-Mail voraus)