Würzburg (POW) Ohne Schweiß kein Preis: Draußen vor dem Neumünster liegt die Temperatur knapp über Null. In der Grabeskirche der Frankenapostel ist es gefühlt noch ein paar Grad kälter. Elke Maier friert an diesem Nachmittag auch nach Stunden in dem kalten Gotteshaus kein bisschen. Sie wischt sich mit dem Handrücken ein paar Schweißperlen von der Stirn, blickt kurz in Richtung Kuppellaterne und zieht einen Faden straff.
Hunderte Mal hat sie diese Handgriffe in den vergangenen Wochen seit dem Dreikönigsfest getan, inmitten der Bauarbeiten im Neumünster, das derzeit restauriert wird: einen der hauchdünnen Seidenfäden geholt, der am Fußboden außen am Rand des Oktogons unter der mächtigen Kuppel der Neumünsterkirche herunter hängt, mit einem Blick den Punkt am Boden ausgemacht, an dem sie das Ende mit einer Handvoll Erde befestigt, den Faden auf straffe Länge gekürzt und dann mit kräftigen Handschlägen den Boden verdichtet. Raumintervention nennt sie ihren Skulptur, die den Blick zugleich ablenkt und konzentriert. Oben unter der Kuppel scheinen die Fäden sich zu einem dichten Lichtbündel zu verschmelzen, auf Augenhöhe zieht ein lichtes Kreuz-und-quer von dynamischer Präzision den Betrachter in den Bann und schenkt ihm eine völlig neue Raumerfahrung.
„Ich habe keine fixe Idee, wie die Raumintervention aussehen soll. Das ganze ist ein Prozess – so ähnlich wie das Rosenkranzbeten“, sagt Maier mit einem ganz dezenten österreichischen Zungenschlag. Dem Betrachter kann bei der Vielzahl der Fäden, die Maier schon installiert hat, ganz schwindelig werden. Vom Balkon und der Kuppellaterne her hat sie ihre Installation errichtet. Wie oft sie dafür über die schmale Treppe des Glockenturms die 100 Stufen nach oben und wieder herabgestiegen ist? Maier weiß es selbst nicht mehr. Sie will es auch nicht wissen.
„Derartig materiell denke ich nicht. Deswegen ist es mir bei meinen Installationen auch egal, ob sie einen Tag oder ein Jahr lang bestehen.“ Entscheidend ist für die Künstlerin, dass ihre Werke mit allen Sinnen erfahrbar sind. „Meine Hoffnung ist, dass diese Eindrücke innere Bilder und Vorstellungen anregen. Denn die sind beständiger“, sagt Maier und holt einen neuen Eimer mit Erde aus der Nische, in der sonst einer der Seitenaltäre steht. Kritisch blickt sie nach oben, neigt den Kopf kurz nach links, geht einen Schritt zurück. „Das Spannende ist, dass sich so viele unterschiedliche Perspektiven bieten, abhängig vom Standort oder dem Einfall des Sonnenlichts.“
Letzteres bestimmt auch die Arbeitszeiten der Künstlerin, die Kunstlicht prinzipiell ablehnt. Zum verfügbaren Objekt will Maier ihr Werk nicht gemacht wissen. „Wenn der Mond oder eben die Sonne ins Neumünster scheint, gibt das einem das Gefühl, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.“ Zu ihrem Konzept gehört es auch, dass der Betrachter anders als bei anderen Skulpturen nicht nur um diese herum, sondern mitten durch sie hindurch gehen kann.
Die Raumintervention in Würzburg hat am Boden das Kreuz als Grundmuster, mit vorgegeben durch die Stellen, an denen sonst Kirchenbänke stehen. „Das ist ein feierlicher Ort und die Arbeit hat Würde. Mir ist sehr bewusst, wo ich mich hier befinde“, erklärt Maier und blickt dabei nur kurz auf. Bischof Dr. Friedhelm Hofmann war es, der den Kontakt mit der Künstlerin in Berlin herstellte. Dort fertigte sie eine ihrer Skulpturen in der Kapelle der Katholischen Akademie an.
Während aus dem Chorraum das Brüllen der Kreissäge in das Oktagon dringt, entflicht Maier souverän und still das Knäuel von Fäden in ihren Händen. Der Trubel um sie herum scheint sie nicht anzufechten. „Ich arbeite mich ins Meditieren hinein“, sagt die Künstlerin von sich. Auch der Betrachter kann sich nicht der Mystik entziehen, die Maier mit ihrem Konzept sichtbar entfaltet. Kalte Füße hin oder her.
Hinweis: Die Installation im Neumünster ist bis zum 24. Februar jeweils dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr zu besichtigen.
(0608/0195; E-Mail voraus) Markus Hauck (POW)
Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet