Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Gerade weil der tragische Tod von Dekan Klaus-Peter Kestler viele Fragen ausgelöst hat, sollten wir uns vor vorschnellen Antworten hüten. Wir können allerdings unsere Betroffenheit in den Glauben an Gott hineinlegen, der uns das Leben geschenkt hat und von dem wir glauben, dass er es – auch, wenn es so jäh abbricht – in seiner ewigen Liebe vollenden wird. Genauso dürfen wir als Christen der Überzeugung sein, dass das Leben jedes Menschen eine Botschaft von Gott enthält, die als Vermächtnis über seinen Tod hinauswirkt. Ich meine, dass unsere Trauer und Betroffenheit dann fruchtbar und nicht bloß lähmend ist, wenn wir nach solchen Impulsen fragen, die vom Lebenszeugnis Ihres Pfarrers ausgehen. Jeder von uns hat ihn auf seine Weise wahrgenommen; ich kannte ihn über Jahre hinweg als Verantwortlicher für die Priesterausbildung in unserem Bistum und dann als Generalvikar. Im Umgang mit ihm sind mir Eigenschaften deutlich geworden, die für ihn wesentlich waren und die wir in aktiver Erinnerung behalten sollten.
1. Ich habe Klaus-Peter Kestler stets als einen Menschen erlebt, dem in hohem Maß die Gabe des Wortes zu Eigen war. In seiner Ausbildungszeit im Priesterseminar war er ausgesprochen diskussionsfreudig und ging keinem Disput aus dem Weg. Er stand für seine Glaubensüberzeugungen ein, auch auf die Gefahr hin, damit anzuecken. Dieser Mut hat mich beeindruckt. In Gesprächen sind wir jedoch auch immer wieder darauf gekommen, dass zu einem aktiven Glaubenszeugnis das Bemühen kommen muss, Überzeugungen zu wecken. Bloßes Widerlegen von Gegenargumenten allein genügt noch nicht. Diesem Lernprozess hat sich Klaus-Peter Kestler gestellt. So möchte ich dies als erstes Vermächtnis aus seinem Wirken herausstellen: Dass wir keine falsche Scheu haben, unseren Glauben mutig zu vertreten, dass wir uns dabei – ob in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz oder anderswo – genauso um Geduld und Überzeugungskraft bemühen, die den anderen mit seinen Fragen ernst nimmt.
2. Weiterhin habe ich Pfarrer Kestler als einen Priester erlebt, der seinen Dienst nicht bloß binnenkirchlich verstanden hat, sondern sein Wirken als Beitrag zum gesamten gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen gesehen hat. Sie erinnern sich vielleicht: Als vor einigen Jahren in Lohr eine Gruppe junger Rechtsradikaler die Aufmerksamkeit auf sich zog, suchte er das Gespräch mit ihnen und trat in seinen Äußerungen andererseits dem dahinter liegenden ideologischen Gedankengut klar entgegen. Als ich mich mit ihm über die Situation damals unterhielt, sagte er mir: „Die Kirche darf zu solchen Irrwegen nicht schweigen, aber wir müssen gleichzeitig deutlich machen, dass uns die irrenden Menschen nicht gleichgültig sind.“ Als Christen ist es uns aufgetragen, nach dem Beispiel Jesu auf Menschen zuzugehen, auch wenn sie schwierig sind und nicht in unsere Vorstellungen passen. Dazu können wir uns immer nur neu gegenseitig motivieren; wir dürfen auch die Bereitschaft von Pfarrer Kestler zu diesem Abbau von ideologischen Schranken und zur Begegnung im Gespräch als ermutigendes Zeichen in Erinnerung behalten.
3. Schließlich habe ich Dekan Kestler als einen Seelsorger wahrgenommen, der die Menschen zur persönlichen Glaubensverantwortung führen wollte. Vor mehreren Jahren kam ich zur Firmung einiger Jugendlicher nach St. Pius, die durch die Umstellung der Firmpraxis dieses Sakrament noch nicht empfangen hatten. Klaus-Peter Kestler mühte sich sehr um die jungen Leute, die in den unterschiedlichsten beruflichen und schulischen Situationen standen; er wollte ihnen Mut machen, in ihrer Umgebung ein entschiedenes Christsein zu leben und den Glauben nicht bloß als innere Haltung oder als reine Privatangelegenheit zu betrachten. Mein Eindruck im Gespräch nach der Firmung war, dass dies auch verstanden wurde und rüberkam. Dieser Dienst der Ermutigung im Glauben, den ich damals bei Klaus-Peter Kestler erlebt habe, ist aber uns allen aufgetragen. Christsein ist ein Geschenk zum Weitergeben – dieser Gedanke hat Ihren verstorbenen Pfarrer, wie ich weiß, wesentlich zu seiner Entscheidung für den Priesterberuf motiviert. Wenn Sie hier in Lohr und den dazugehörigen Gemeinden einander helfen, in aller Vorläufigkeit und Begrenztheit und auch in den Konflikten und Spannungen, von denen das Zusammenleben von Christen nicht verschont bleibt, den Glauben froh und entschieden zu leben, dann führen Sie dieses Anliegen Ihres Pfarrers in guter Weise weiter.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Ich habe zu Beginn davon gesprochen, dass der Tod von Klaus-Peter Kestler Fragen aufwirft, auf die es keine vorschnellen Antworten gibt. Aber wir können es so halten wie die Beter der Bibel, die in den Psalmen ihre Nöte, Fragen und Unsicherheiten Gott anvertraut haben, weil sie sich bei ihm an der richtigen Adresse wussten. So möchte ich im Blick auf Klaus-Peter Kestler sein Leben und Wirken Gott mit Sätzen aus Psalm 27 anvertrauen, wo es heißt:
„Dein Angesicht, Herr, will ich suchen,
verbirg nicht dein Gesicht vor mir.
Du wurdest meine Hilfe.
Verstoß mich nicht, verlass mich nicht,
du Gott meines Heiles!
Zeige mir Herr, deinen Weg,
dann bin ich gewiss zu schauen
die Güte des Herrn im Land der Lebenden.“
Amen.
(64 Zeilen/4706/1664; E-Mail voraus)