Würzburg (POW) Es ist nicht unbedingt sinnvoll, alle Katholiken über einen Kamm zu scheren. Vielmehr lohnt es sich, unterschiedliche Angebote für verschiedene Zielgruppen zu machen. So lautet eine der Kernthesen, die rund 30 Hauptamtliche aus den pastoralen Berufsgruppen der Diözese beim zweitägigen Symposium „Gemeinde – wohin?“ des Instituts für theologisch-pastorale Fortbildung gewonnen haben. Zu den Dozenten der Veranstaltung im Exerzitienhaus Himmelspforten zählten der Dogmatiker Privatdozent Dr. habil. Petro Müller, Pfarrer von Esselbach, Pastoraltheologe Professor Dr. Richard Hartmann von der Universität Fulda, Dr. Ursula Silber vom Bildungshaus Schmerlenbach und Bernhard Spielberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Universität Würzburg.
Weil immer mehr Pfarreien zu Pfarreingemeinschaften zusammengefügt werden, stellt sich die Frage nach der weiteren Entwicklung der einzelnen Gemeinde. „Blickt man auf die Ergebnisse der Sinus-Milieu-Studie, so ist festzustellen, dass die Kirche derzeit nur zwei von zehn Gruppen der Gesellschaft anspricht: die Traditionsverwurzelten und die Bürgerliche Mitte“, sagte Spielberg. Gemeinsam mit den anderen Dozenten machte er sich für eine Zerlegung der Pfarrgemeinden in die Einzelteile Pfarrei und Gemeinde stark. Dabei solle Pfarrei als der rechtlich-strukturell-organisatorische Rahmen verstanden werden. „Die Gemeinde ist die theologisch mit Leben gefüllte Innenansicht, wo es um Jesus-Nachfolge und Beziehung der Menschen untereinander geht“, sagte Spielberg. Das habe zur Konsequenz, dass nicht jede Gemeinde eine Pfarrei sein müsse. „Die alte Form der rein territorialen Organisation geht an den neuen Sozialstrukturen und der Vielfalt der Menschen und ihrer Interessen und Bedürfnisse vorbei. Zum Beispiel gibt es Gruppierungen, die sich um einen Kindergarten oder ein Krankenhaus oder ein spirituelles Zentrum wie ein Kloster herum bilden.“
Für die Organisation bedeute das, dass jede Pfarrei – wie kirchenrechtlich vorgeschrieben – einen Pfarrer als Vorsteher benötige. „Die Gemeinde kann aber auch ein Laie leiten“, betonte Spielberg. Petro Müller schlug folgendes Bild vor: Die Pfarrei ist der Pferch, innerhalb dessen es durchaus verschiedene Herden und mehrere Hirten geben kann. „Das ist entlastend, weil auf diese Weise nicht mehr der Anspruch entsteht, dass die Kirche mit einem einzigen Angebot alle Zielgruppen ansprechen muss“, erklärte Domkapitular Dr. Helmut Gabel, Leiter des Instituts für theologisch-pastorale Fortbildung. Wichtig sei die Vernetzung. „Wenn zum Beispiel eine Gemeinde nicht genug Jugendliche hat: Was spricht dagegen, sich mit einer anderen zusammen zu tun oder die Jugendlichen dorthin zu schicken?“
Allen Symposiumsteilnehmern sei klar, dass ein solcher Gedanke derzeit noch viele befremde. „An Pfarreiengemeinschaften allein nur zu denken, schien vielen vor 15 Jahren ein Unding. Heute ist ihre Existenz schon Alltag“, erläuterte Dr. Klaus Roos, stellvertretender Leiter des Instituts für theologisch-pastorale Fortbildung. „Niemand kann die Pastoral so gestalten, dass er alle anspricht. Deswegen halte ich es für unabdingbar, von der zum Teil ideologieartig verkündeten Idee der ‚Pfarrfamilie’, bei der sich alle aufgehoben fühlen, abzukehren“, sagte Gabel. Eine solche „Monokultur“ stehe im Widerspruch zu einer Außenwirkung und Öffnung der Kirche.
Der Seelsorger der Zukunft müsse daher ein Netzknüpfer sein, der wisse, wo es welche Angebote gebe, und der zwischen den einzelnen Gruppen den Kontakt halte und herstelle. Seine Aufgabe sei es auch, dafür zu sorgen, dass die einzelnen Milieus den Respekt voreinander wahren. „Langfristig wird das derzeitige flächendeckende Versorgungsprinzip einer großen Zahl von ‚Missionsstationen’ weichen, in denen sich kirchliches Leben konzentriert“, zeigte sich Roos gewiss.
Wie bei allen Visionen gebe es für dieses Kirchenbild der Zukunft noch viele Probleme und Fragen, die noch auf konkrete Antworten warteten. „Wenn wir jetzt schon alles unter Dach und Fach hätten, wäre das sicherlich falsch, weil wir in einigen Bereichen sicherlich noch mehr praktische Erfahrungen brauchen“, machte Spielberg deutlich. Er plädierte dafür, dass Kirche stärker den Menschen in ihrem Alltag begegnen müsse: „Wenn das Einkaufszentrum ‚Arkaden’ in Würzburg gebaut wird, muss die Kirche dort unbedingt auch mit einem Gesprächsladen oder etwas Ähnlichem vertreten sein.“
mh (POW)
(0906/0326; E-Mail voraus)
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