Liebe Schwestern und Brüder,
heute schauen wir auf 25 Jahre Bildungshaus „Maria an der Sonne“ in Schmerlenbach zurück. 1985 hatte mein Vorgänger Bischof Paul-Werner Scheele den Verantwortlichen mit auf den Weg gegeben: „Möge dieses Zentrum ein Ort geistiger Bildung und christlicher Erneuerung werden für die Kirche Jesu Christi in der Welt von heute.“ (Roth, Elisabeth: Schmerlenbach. Tradition und Neubeginn. Würzburg 1987, 70)
Will man ein geeignetes Stichwort finden, das das Besondere dieses Tagungshauses im Kreis der neun kirchlichen Tagungshäuser unseres Bistums Würzburg ausdrückt, dann könnte es das Wort Gastfreundschaft sein.
Gastfreundschaft ist ein großes Thema der Heiligen Schrift. Die Lesung aus dem Buch Genesis hat uns eindringlich vor Augen geführt, wie Abraham im Hain von Mambre drei Männer, die sich als drei Boten Gottes, gleichsam als drei Engel, erwiesen äußerst gastfreundlich aufgenommen hat. Bis ins Detail hinein werden uns seine Bemühungen geschildert: Er lief ihnen entgegen, warf sich vor ihnen nieder und bat sie, bei ihm einzukehren. Dann ließ er Wasser holen, damit ihnen die Füße gewaschen werden konnten und lud sie zu einem bescheidenen Mahl ein. Seine Frau bat er, schnell einen Brotfladen zu backen. Er selbst suchte ein prächtiges Kalb aus und ließ es für die Gäste zubereiten.
Diese sprichwörtliche Gastfreundschaft der Nomaden hatte sicherlich der heilige Benedikt vor Augen als er in seinen Regula Benedicti die Aufnahme der Gäste beschrieb. Dort lesen wir im 53. Kapitel: „Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus, denn er wird sagen: ‚Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen’.“
In der Tat werden wir im Jüngsten Gericht nach den Aussagen des Evangelisten Matthäus danach beurteilt, ob wir die Bergpredigt ernst genommen und umgesetzt haben, oder aber ob wir das Gute unterlassen haben! Die Quintessenz Jesu lautet: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ – Wenn ich daran denke, dass auf der Welt alle sechs Sekunden ein Kind an Unterernährung stirbt, dann wird mir ganz anders. Wenn auch „die Zahl der weltweit Hungernden erstmals seit 15 Jahren rückläufig ist“, so konnte man noch vorgestern in der FAZ lesen, „bleibt die Situation besonders in Krisenländern dramatisch.“ (FAZ, 7.10.2010) – Immerhin leiden heute noch 925 Millionen Menschen an Hunger. Während in dieser globalen Herausforderung eine stärkere Unterstützung lokaler Infrastrukturen – vor allem in der Landwirtschaft – nötig ist, eine gerechtere Verteilung der Güter und eine gerechte Entlohnung für deren Natur- und Bodenschätzen, so ist doch auch bei uns im eigenen Land das Thema Gastfreundschaft etwa im Umgang mit den Asylanten ein brennendes Thema.
Gerade in unserer oft genug auf Profit ausgerichteten Gesellschaft ist die biblisch angemahnte Gastfreundschaft ein zentrales Thema.
Der heilige Benedikt ist in seinen Anweisungen ganz konkret: „Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern…Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut…Man lese dem Gast die Weisungen Gottes vor, um ihn im Glauben zu erbauen; dann nehme man sich mit aller Aufmerksamkeit gastfreundlich seiner an.“
Hier in Schmerlenbach gewinnt dieses Thema noch einmal eine besondere Aktualität, da hier schon über fast 800 Jahre hinweg ein alle Zeiten verbindender Grundzug durch das klösterliche Leben der Benediktinerinnen gegeben ist. Für das Bildungshaus bedeutet dies eine identitätserhaltende Verpflichtung.
Der Wallfahrtsort „Maria an der Sonne“ mit seiner ruhigen Lage im Grünen lädt zum Verweilen, Schauen und Beten ein. Die spirituelle Dimension ist einer der Grundpfeiler.
Es ist interessant zu sehen, dass in der benediktinischen Regel dem gemeinsamen Gebet mit dem Gast eine besondere Stellung zukommt.
Hier liegen die tiefen Wurzeln für den Bildungsauftrag, den das Tagungszentrum Schmerlenbach auch heute wahrnehmen will: Schmerlenbach war und ist ein Ort der Gastlichkeit im benediktinischen Geist. Ebenso will Schmerlenbach ein Ort der Begegnung und Bildung sein, ein von echter Gastfreundschaft geprägter Ort „des Hörens auf Gott und aufeinander, wo der Mensch in seiner Würde zu sich selbst kommt“ wie es Abt Notker Wolf einmal formulierte (Wolf, Notker: Wir laden Sie ein. Benedikt und Gastfreundschaft. In: Die Botschaft Benedikts, 2008, 13)
Diesem Bildungsauftrag wissen sich hier die Verantwortlichen verpflichtet. Sie haben den Text der Pastoralkonstitution des Zweiten Vaticanums verinnerlicht, der zur Kirche in der Welt von Heute Stellung nimmt und besagt: „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allezeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie…auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens…Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen.“ (GS 4)
Dies ist im Kern auch das Grundverständnis kirchlicher Erwachsenenbildung, das Jürgen Thomassen 1987 als Zielsetzung dieses Hauses klar umschrieben hat. Der Mensch soll hier zur Ruhe kommen mit seinen Freuden und Hoffnungen, mit seiner Trauer und Ängsten, mit seinen Fähigkeiten und Begabungen aber auch mit seinen Schwächen und Schattenseiten. Kirchliche Erwachsenenbildung in der Nachfolge Jesu weiß sich aufgerufen, dazu beizutragen, dass sich das Leben in seiner individuellen wie sozialen Ausprägung entfalten kann, und so etwas von der im Johannes-Evangelium verheißenen Fülle (vgl. Joh 10,10) erfahrbar und lebbar wird.
Dankbar dürfen wir auf das zurückliegende Vierteljahrhundert dieses Hauses zurückschauen, das die Qualifizierung von Menschen im Bereich des Glaubens, des Zusammenlebens und der persönlichen Lebensgestaltung gefördert hat. Mögen diese Aufgaben auch weiterhin unter dem bergenden Mantel der Gastfreundschaft die Zukunft dieses Hauses bestimmen. Amen.