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Predigt von Dr. Friedhelm Hofmann, 88. Bischof von Würzburg, bei seiner Amtseinführung am Sonntag, 19. September, in Würzburg

Sehr geehrte Herren Kardinäle,

hochverehrter Herr Nuntius,

liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt,

verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

Im vergangenen Jahr war auf der 50. Kunst-Biennale in Venedig von dem Theaterregisseur Christoph Schlingensief eine Kirche der Angst errichtet worden. „Ein böses kleines Kirchlein im karibischen Baustil, der hysterische Tempel einer neuen, weltumspannenden Dada-Religion.“ (FAZ, 14. Juni 2003). Inmitten des bedeutendsten Schauplatzes zeitgenössischer Kunst hatte Schlingensief einen Angstgottesstaat errichtet, der aus einer kleinen weißen Kapelle und sieben Pfahlsitzern – „sieben bekennende Arbeits-, Obdach- und Konfessionslose“ (FAZ 17. Juni 2003) – bestand, die unter Sonnenschirmen auf einbetonierten Baumstämmen hockten – ein Bild für heutige Hysterie und Orientierungslosigkeit, das sich seismographisch, das heißt, unsere Gesellschaft beschreibend, durch die Ausstellung zog.

Wie ganz anders dagegen war die Begegnung mit dem Weltjugendtagskreuz vor wenigen Wochen hier in der Diözese Würzburg: Den ganzen Tag über stand das Weltjugendtagskreuz, das der Heilige Vater feierlich zur Vorbereitung auf den Weltjugendtag im nächsten Jahr von Rom aus über Köln auf die Reise durch Europa geschickt hatte, als Zentrum eines siebenfach verschlungenen Labyrinthweges auf dem Pausenhof der Münsterschwarzacher klostereigenen Schule. Das Kreuz wurde eindringlich als Orientierung, Sinngebung und Ziel erlebbar. „Tritt ein in die Mitte, leg’ deine Last ab und empfange den Segen Jesu Christi!“, begrüßte ein Pater die Jugendlichen, die zahlreich von der Begegnungsmöglichkeit mit dem Kreuz Gebrauch gemacht hatten (Vgl. L’Osservatore Romano, 16. Juli 2004). Nicht nur in Münsterschwarzach, sondern in allen Regionen der Diözese Würzburg – auf dem Kreuzberg in der Rhön, am Untermain, in Würzburg, Schweinfurt und in den Haßbergen – wurde dieses Kreuz zur Verehrung dargeboten. So verschieden die Orte und so vielfältig die Gebets- und Gottesdienstgestaltungen gewesen sein mögen, so zentral stand doch die Botschaft des Kreuzes im Blick.

Skeptische Zeitgenossen mag es verwundern, dass gerade das Kreuz als Anknüpfungspunkt für den Glauben, also die Beschäftigung mit Gott, seine Anziehungskraft bei jungen Leuten nicht verloren hat. Jedoch hat es seine scharfen Kanten auch bei denjenigen nicht eingebüßt, die nichts von unserer christlichen Hoffnung durch den Erlösungstod Jesu am Kreuz wissen wollen. – Die erst vor wenigen Jahren bei uns geführte Diskussion um das Kreuz in öffentlichen Gebäuden ist noch in lebendiger Erinnerung.

Vielen gilt das Kreuz als bedrohliches Marterwerkzeug und martialische Waffe. Das war schon in der Urkirche so: „Wir dagegen verkündigen Christus, den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Weisheit“ (1 Kor 1,23). Für uns Christen ist das Zeichen des Kreuzes der sichtbare Garant, dass in Jesus Christus Sünde und Tod endgültig überwunden wurden. Durch seine Auferstehung ist auch uns das Tor zum ewigen Leben geöffnet worden. Damit werden Sinn und Ziel unseres Lebens durch dieses Zeichen lebendig erhalten.

Dennoch ist nicht zu leugnen, dass auf unserer Welt Unerlöstheit, Angst, Terror, Krieg, Zwietracht und ein Zerbrechen von Werten lasten. Kann das Kreuz dahinein auch heute seine Erlösungsbotschaft glaubhaft und wirksam vermitteln?

Ich möchte darauf mit drei kleinen, sehr unterschiedlichen Begebenheiten und den damit verbundenen Personen antworten:

mit einer der größten Frauengestalten des 20. Jahrhunderts, der heiligen Edith Stein. Sie hatte als Jugendliche den jüdischen Glauben ihrer Familie verloren. Intellektuell wach und kritisch, war sie auf der Suche nach der Wahrheit. Über ihre wissenschaftlichen phänomenologischen Studien, über das beeindruckende Glaubenszeugnis evangelischer und katholischer Christen angesichts schwerwiegender Lebensumstände und schließlich in der Schilderung der Lebensvita der heiligen Teresa von Avila, die spirituell eng mit dem heiligen Johannes vom Kreuz verbunden war, fand sie den Durchbruch zum Glauben. Der Gekreuzigte – „für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit …“ – wurde für sie zum Schlüssel göttlichen Heilshandelns an uns. Als Karmelitin in Köln und Echt (Niederlande) übersetzte sie nicht nur die in spanischer Sprache geschriebene Kreuzestheologie eines heiligen

Johannes vom Kreuz, sondern verfasste selber eindringliche Texte über das Kreuz. Am Fest Kreuzerhöhung des Jahres 1939 schrieb sie: „Mehr denn je ist heute das Kreuz das Zeichen, dem widersprochen wird. Die Anhänger des Antichrist tun ihm weit ärgere Schmach an als einst die Perser, die es geraubt hatten. Sie schänden die Kreuzbilder und machen alle Anstrengungen, das Kreuz aus dem Herzen der Christen zu reißen … (Christus) will dein Leben, um dir das seine zu schenken. Ave crux spes unica!“ Sie, die bei der Einkleidung im Kloster den Namen Teresia benedicta a cruce, Teresia vom Kreuz Gesegnete, erhielt, hatte sich aber nicht nur theoretisch mit der Kreuzeswissenschaft beschäftigt, sondern ist den Kreuzweg in der Nachfolge des gekreuzigten Herrn bis in die Gaskammern von Auschwitz gegangen. Beeindruckend ist das Zeugnis eines Augenzeugen, der Edith Stein noch im niederländischen Abtransportlager Westerbork gesehen hatte, wie sie als einzige aufrecht stehend die Kraft hatte, sich um die verwahrlosenden Kinder zu kümmern. Deren Mütter waren aus Angst so versteinert, dass sie in sich zusammengebrochen waren. Edith Stein hatte dagegen die Kraft des Kreuzes als Folter und Tod überwindende Wirklichkeit in einer der größten Extremsituationen des Lebens sichtbar machen können.

Vor wenigen Jahren durfte ich den vielleicht größten afrikanischen Slum in der Nähe von Nairobi besuchen. Ich habe mir sagen lassen, dass dort mehr als 500.000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht leben. Erbärmliche Hütten aus Blechresten und Kartons so weit das Auge reichte. Schmutz und Gestank überall. Das einzige Grün waren vier kleine Bäumchen, die ein aus Mexiko stammender Pater auf einem kleinen Platz vor der Kirche gepflanzt hatte. Wir zogen feierlich zur Messfeier in die aus Wellblech und Abfallstücken aufgerichtete menschenvolle Kirche. Und da geschah es: Entgegen der äußeren Armut und dem sichtbaren Elend brach während der Liturgie aus einem jungen Mädchen ein Gesang heraus, der Gott so mitreißend lobte, dass die ganze Gemeinde refrainartig einfiel. Es wurde eine überbordende Glaubensfreude erlebbar, die krass im Gegensatz zu der materiellen Not und den menschenunwürdigen Lebensumständen stand. Allen anwesenden Besuchern aus Deutschland, denen die Tränen in den Augen standen, wurde schlagartig klar, dass hier die Kraft des Kreuzes den Glanz der Vollendung in der bittersten Armut aufscheinen ließ.

In der Nähe von Düsseldorf durfte ich viele Jahre eine kranke junge Frau betreuen, die, ans Bett gefesselt, ihre Umgebung zunächst noch mit einem kleinen Handspiegel wahrnehmen konnte. Ihre Knochen weichten auf und der Kopf dehnte sich immer mehr aus. Die kleinste Berührung bereitete ihr große Schmerzen. Im Alter von 18 Jahren wollte sie gefirmt werden. Während der Firmfeier am Krankenbett brach es mit elementarer Gewalt aus ihr heraus: „Großer Gott, wir loben dich …“. Welcher Gegensatz zu dem kranken Körper! Mit fester Stimme sang sie den Lobpreis Gottes. Entgegen der von außen wahrgenommenen erschütternden Situation offenbarte sich in ihrer Grundhaltung ein Stück Himmel. Der anwesende Pfarrer nahm mich später beiseite und sagte: „Und ich habe einmal gewagt, zu ihr zu sagen, Sandra, du armes Kind, was hat Gott mit dir vor, dass er dich so leiden lässt. Darauf hat sie mir geantwortet: Aber Herr Pastor, wie können sie sagen, dass ich arm bin, ich bin doch von Gott geliebt.“ – In dieser jungen Frau begegnete man einem Menschen, der von vielen mitleidsvoll betrachtet, die Frage nach Gott ganz neu und unvermittelt durch ihren überzeugend gelebten Glauben einbrachte. Sie, die so manchem bedauernswert erschien, lebte aus einer Freude an Gott und der Zuversicht auf die Überwindung allen Leides, dass die, die gekommen waren um zu trösten in Wirklichkeit diejenigen waren, die als Getröstete nach Hause gingen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Julius Kardinal Döpfner hatte den Wahlspruch: „Praedicamus crucifixum.“ (1 Kor 1,23a) – „Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten.“ Auch er machte damit auf den gekreuzigten Heiland aufmerksam, in dem Gottes Liebe zu uns Menschen am eindringlichsten aufleuchtet. Sicherlich ist das nicht leicht zu verstehen. So mancher unter uns trägt schwer an seinem Kreuz. Die Kreuzesbotschaft begreifen wir nur als Frohbotschaft, wenn wir erkennen können, dass Christus nicht im Tod am Kreuz verblieben ist, sondern von den Toten auferstanden ist und uns in dieses neue, ewige Leben hinein schon jetzt erlöst hat. Die Realität der Auferstehung ist eben nicht nur eine auf unsere Zukunft nach dem Tod ausgerichtete, sondern eine schon jetzt in unser konkretes Leben hineinreichende Wirklichkeit, die unser Leben grundlegend verändern kann, wie die drei aufgeführten Beispiele veranschaulichen. Aber auch der Cruzifixus in der benachbarten Neumünsterkirche macht mit den vom Kreuzesbalken heruntergenommenen Armen Jesu die Umarmung durch den Gekreuzigten überaus eindrucksvoll deutlich.

Entgegen einer Gesellschaft, die sich in eine Pseudo-Kirche der Angst oder in einen fiktiven Angstgottesstaat hinein verlieren könnte – wie es seismographisch auf der letztjährigen Biennale in Venedig visualisiert wurde – verkünden wir eine Frohbotschaft, die den Menschen voll Hoffnung leben lässt, da es nicht in erster Linie auf unser schwaches Können und Tun ankommt, sondern auf Gottes Heilshandeln an uns. Trauen wir Gottes Liebe!

Der heilige Paulus schrieb zu unserem Trost im Ersten Korintherbrief: „Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.“ (1 Kor 1,25). Somit ist das Fest Kreuzerhöhung, das schon bei meiner Bischofsweihe vor zwölf Jahren die Liturgie prägte wie am heutigen Tag meiner Einführung als Bischof von Würzburg, wahrhaft ein Freudenfest, das uns ermutigt, uns auf die Frohbotschaft des Kreuzes einzulassen und den Glauben im eigenen Alltag zu wagen.

Ich freue mich, dass ich schon am nächsten Sonntag meinen Pilgerweg durch das Bistum Würzburg auf dem Kreuzberg beginnen darf und bitte Sie um Ihr begleitendes Gebet.

Gott ist getreu, er wird das Gute, das er begonnen hat, auch vollenden.

Amen.