Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,
wir haben es geschafft! Im bedeutendsten Wallfahrtsort Bayerns, in Altötting, sind wir bei der Gottesmutter Maria, hier in der St. Anna-Basilika, der Kirche, die der Mutter Mariens geweiht ist, angekommen. Für viele von Ihnen liegt eine lange und oft auch beschwerliche Reise hinter Ihnen. Dank der Malteser und der vielen Helferinnen und Helfer war es möglich, diesen Gnadenort, an dem auch der Heilige Vater als Kind oft geweilt hat, aufzusuchen.
Hier schlägt das Herz Bayerns. Hier spüren wir die ausgebreiteten Arme der Gottesmutter, die uns empfängt und an ihr Herz drückt.
Maria hat selbst viel irdische Not, tiefes Leid erfahren und weiß auch um unsere Schmerzen:
Unverheiratet empfängt sie auf übernatürliche Weise den Sohn Gottes. Es drohte ihr die Steinigung. Und doch sagte sie ‚Ja’ zu Gottes Willen.
Kaum war das göttliche Kind in der Armut Betlehems geboren, musste sie nach Ägypten fliehen.
Der zwölfjährige Sohn machte sich auf der Rückreise der Pilgerfahrt nach Jerusalem selbständig und machte Maria und seinem Stiefvater Joseph klar, dass er seinen eigenen Weg, im Einklang mit dem himmlischen Vater gehen musste.
Der erwachsene Sohn reiste wie ein Wanderrabbi durch die Lande – ohne festen Wohnsitz –, allen Gefahren ausgeliefert.
Die Verurteilung zum grausamen Kreuzestod erlebte sie – ohne ihm auf irgendeine Weise helfen zu können – voll Schmerz mit.
Unter dem Kreuz, der wohl schwierigsten Stunde in ihrem Leben, nahm sich ihr Sohn aus ihrer Obhut heraus und vertraute ihr stattdessen den heiligen Johannes – und damit uns alle – als Sohn an.
Maria wusste wahrhaftig was Leid und Schmerz bedeuten.
Unsere Vorfahren haben deshalb Maria ihr Leid anvertraut. Das Gnadenbild ‚Unserer lieben Frau’ in Altötting hat viele Tränen, Hoffnungen und Dank gesehen. Die sichtbaren Wunder, die auf die Fürsprache Mariens zustande kamen, machten die Menschen weit und breit auf sie, unsere himmlische Mutter, aufmerksam. Seit die beiden ersten Wunder 1489 und 1490 geschehen sind, reißt der Pilgerstrom nach Altötting nicht mehr ab. Die vielen Votivtafeln rund um die Gnadenkapelle künden eindrucksvoll von der vielfältigen Hilfe der ‚Schwarzen Muttergottes’.
Und wie steht es mit uns, liebe Pilgerinnen und Pilger, was erhoffen wir uns von der Gottesmutter?
Die Anliegen und Nöte, die wir in unserem Pilgergepäck haben, sind sicherlich so vielschichtig und unterschiedlich wie wir selbst. Wir dürfen Maria vertrauen – wie unsere Vorfahren es getan haben. Vielleicht haben wir selbst auch schon das eine oder andere Wunder erlebt. Aber wie ist es mit unserem heimlichen Wunsch, gesund zu werden? Was ist, wenn diese unsere Bitte nicht erhört wird?
Ich habe viele, viele Wallfahrten nach Lourdes, dem größten französischen Marienwallfahrtsort, begleitet. Auf der langen Zugreise nach Lourdes habe ich mich mit den Schwerkranken unterhalten und ihre Wünsche und Bitten erfahren. Viele äußerten, dass auch sie gerne gesund würden – sei es während der Sakramentsprozession oder im Bad mit Lourdeswasser.
Zwei Geheilten, deren Heilung von der Kirche als Wunder anerkannt worden war, durfte ich begegnen: der damals zum Sterben nach Lourdes gereiste junge Mann wurde während des Segens mit dem eucharistischen Herrn in der Monstranz von einer Sekunde zur anderen geheilt.
Die damals junge Frau wurde von der Multiplen Sklerose während des Badens im Lourdeswasser in einem Augenblick geheilt. Der junge Mann trat ins Kloster ein, weil ihm der Heimatpfarrer gesagt hatte: „Glaube nicht, das du von Gott gegenüber den anderen Kranken bevorzugt wurdest. Die Heilung bedeutet nicht, dass du in den Himmel kommst.“ Das hatte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen geführt.
Die junge Frau trat ebenfalls in ein Kloster ein, war aber solchen Widrigkeiten ausgesetzt, dass sie später wieder austrat und unter Tränen zu mir sagte: „Wenn ich gewusst hätte, was diese Heilung für mich bedeutete, ich hätte Gott gebeten, mich nicht zu heilen.“
Liebe Schwestern und Brüder,
Gesundheit ist ein hoher Wert, aber nicht der höchste. Unsere Krankheiten und Leiden dürfen wir nicht als Strafe auffassen, sondern als eine Chance, am Leiden Jesu teilzuhaben. Kein Geringerer als der heilige Völkerapostel Paulus hat uns dies eben noch in der zweiten Lesung zugerufen: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“ Ich weiß, dass manche von Ihnen jetzt denken: Man kann gut so reden, wenn man nicht die Schmerzen erleiden muss, die ich durchmache. Denen antworte ich: Es gibt viele Leiden, die nicht sichtbar sind. Und auch viele offensichtlich gesunde Menschen tragen schweres Leid.
Mir scheint, dass eine ganz wichtige Frucht unserer heutigen Wallfahrt nach Altötting die ist, dass wir von Maria lernen, unsere Not der göttlichen Macht anzuvertrauen!
Wir pilgern zu Unserer lieben Frau von Altötting, weil wir uns ihr, der Schmerzensreichen, ganz und gar anvertrauen dürfen. Aber wir lernen von ihr auch, dass sie sich ganz Gott anvertraut und ihm die Entscheidung überlässt, was richtig ist für unser Leben.
Unser Heiliger Vater, Papst Benedikt XVI. hat hier in Altötting bei seinem Besuch am 11. September 2006 gesagt: „Maria überlässt alles dem Herrn. Sie hat in Nazareth ihren Willen in Gottes Willen hineingegeben: ‚Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort’ (Lk 1,38) Das ist ihre bleibende Grundhaltung. Und so lehrt sie uns beten: Nicht unseren Willen und unsere Wünsche – so wichtig, so einsichtig sie uns auch sein mögen – Gott gegenüber durchsetzen wollen, sondern sie zu ihm hintragen und ihm überlassen, was er tun wird. Von Maria lernen wir die helfende Güte, aber auch die Demut und die Großherzigkeit, Gottes Willen anzunehmen und ihm zu vertrauen, ihm zu glauben, dass seine Antwort, wie sie auch sein wird, das wahrhaft Gute für uns, für mich ist.“
Eines meiner schönsten Wallfahrterlebnisse hatte ich auf einer Rückfahrt von Lourdes im Krankenzug. Dort begegnete ich einer schwer kranken Frau, die mir auf der Hinfahrt gesagt hatte: „Ich weiß nicht, warum man ein solches Aufsehen um das Leiden Jesu macht. Er hat doch nur drei Tage gelitten, während ich schon dreißig Jahre ans Bett gefesselt bin.“
Ich fragte mich, wie wird sie, die auf körperliche Heilung gehofft hatte, nun damit fertig werden, nicht geheilt zu sein. Zu meinem großen Erstaunen begegnete ich einer frohen, Gelassenheit und Zuversicht ausstrahlenden Frau. Sie sagte mir: „Ich habe begriffen, dass mich Gott nicht mit meiner Krankheit bestrafen will, sondern dass er mich würdigt, am Leiden seines Sohnes teilzuhaben. Ich fahre getröstet und gestärkt nach Hause.“
Diese Erkenntnis, dass wir uns Gott ganz und gar anvertrauen dürfen, und dass er das für uns Richtige wählt, gehört mit zum richtigen Verstehen der Antwort Jesu im heutigen Evangelium an Marta: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“
Wenn wir dieses Vertrauen in Gottes liebende Fürsorge auch hier in Altötting gewinnen können, dann ist wahrhaft wieder ein Wunder geschehen, dass zwar nicht auf einer Votivtafel zu Buche schlägt, aber unser Herz heilt und unser ganzes Leben positiv verändert.
Amen.