Würzburg (POW) In den Werken der Kunst, der Literatur und der Musik begegnet der Mensch Teilaspekten des Schönen, die ihm den Blick für den transzendenten Ursprung aller Schönheit, Gott selbst, zu öffnen vermögen. Für Bischof Dr. Friedhelm Hofmann besitzt dieser Grundgedanke des heiligen Augustinus (354-430) auch in der Reflexion über zeitgenössische Kunst Gewicht: Denn „aus dem diese Geschöpflichkeit übersteigenden kreativen Schaffen“ werde die „Frage nach dem Transzendenten, nach dem ‚Mehr‘ eines Kunstwerkes, unausweichlich“. Bischof Hofmann sprach beim 9. Würzburger Augustinus-Studientag, der unter dem Rahmenthema „Das Schöne in Theologie, Philosophie und Musik“ stand.
Mit ihrem diesjährigen Motto gaben die Veranstalter vom Zentrum für Augustinus-Forschung (ZAF) der Frage nach der Bedeutung des Ästhetischen in antiken und mittelalterlichen, aber auch zeitgenössischen Diskursen Raum. Der Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e.V., Staatsminister a.D. Dr. Thomas Goppel, begrüßte bei der Eröffnung des Studientags gut 70 Besucher aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland im Toscana-Saal der Würzburger Residenz. Bischof Hofmann entfaltete in seinem Festreferat die Denkbewegung des Kirchenvaters Augustinus von Hippo, derzufolge es „über die erfahrbare sichtbare Schönheit die unsichtbare Schönheit Gottes zu suchen“ gelte. In den Werken der Kunst, etwa den gotischen Kathedralen des Mittelalters, habe diese Auffassung sichtbare Gestalt angenommen: „Die nach Maß, Zahl und Gewicht geordneten Bauten ließen den Urheber aller Gesetzmäßigkeiten sinnenfällig erleben und erreichen auch heute noch die staunenden Besucher.“ Im Bereich der Liturgie sieht Bischof Hofmann eine besondere Aktualität dieser von Augustinus entwickelten Konzeption und erinnerte dazu an eine grundsätzliche Aussage des heutigen Papstes Benedikt XVI.: „Die Bilder des Schönen, in denen sich das Geheimnis des unsichtbaren Gottes versichtbart, gehören zum christlichen Kult.“
Persönliche Grüße des Papstes an die Teilnehmer des Augustinus-Studientages übermittelte zum Auftakt des zweiten Veranstaltungstags der Wissenschaftliche Leiter des ZAF, Augustinerpater Professor em. Dr. Cornelius Petrus Mayer, der am Vortag in Rom von Benedikt XVI. in Privataudienz empfangen worden war. In seiner thematischen Einführung wies Mayer die im Sankt Burkardus-Haus der Diözese Versammelten darauf hin, dass der Philosoph Augustinus sich bereits am Beginn seines schriftstellerischen Schaffens mit Fragen der Ästhetik beschäftigt habe; davon zeuge noch der Titel seines Erstlingswerkes „Über das Schöne und das Angemessene“. Unübersehbar sei der rationale Charakter der von Augustinus entwickelten Prinzipien der Ästhetik, der auf den Einfluss des Neuplatonismus zurückgehe und von Mayer in dem Satz zusammengefasst wurde: „Das Schöne gefällt deshalb, weil sein Schönsein einsichtig ist.“
Ein Vortrag über die von Plotin (205-270 n. Chr.), der Zentralfigur der neuplatonischen Schule, entwickelte Theorie des Schönen stand daher folgerichtig am Anfang der Fachreferate. Professor Werner Beierwaltes, unter Experten als gegenwärtig bester Plotin-Kenner weltweit anerkannt, machte deutlich, dass dessen berühmter Traktat „Über das Schöne“ (Enneade 1,1,6) primär nicht „ästhetischer“, sondern ethischer Natur sei: Nicht an einer Analyse des sinnenfällig Schönen sei Plotin interessiert, sondern an der geistigen, inneren Schönheit, die der Mensch aufgrund einer radikalen Wendung in sein Inneres durch Selbstreflexion in sich selbst bilden und erfahren könne, und darin bestehe seine Lebensaufgabe – ein Gedanke, den Augustinus später aufnehmen sollte, als er die berühmte Sentenz prägte: „Geh nicht nach außen, in dich selbst kehre zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit.“
Dem Verständnis Augustins vom „Grund ästhetischer Erfahrung“ war der Hauptvortrag des Studientags gewidmet. In der Schönheit zeige sich die Gegebenheit einer menschlicher Willkür unzugänglichen Instanz, ein Maßstab, auf den wir uns in all unseren ästhetischen Urteilen beziehen, sagte Professor Johann Kreuzer (Universität Oldenburg). „Schönheit“ laute für den heiligen Augustinus zugleich die Antwort auf die Frage: „Was liebe ich, wenn ich dich, meinen Gott, liebe?“ Die mit dem Schönen gegebene Transzendenzerfahrung werde in den augustinischen „Bekenntnissen“ mit einer Analyse des menschlichen Erinnerungsvermögens verbunden. Bedeutsam sei hier, dass ästhetische Erfahrung nicht die raumzeitlichen Bedingungen der Erfahrungswirklichkeit überspringe, sondern sich in der menschlichen Erinnerung unter den Bedingungen endlichen Daseins vollziehe: „In diesem Sinne ist das Schöne als Erscheinungsweise von Ewigkeit in der Zeit zu bestimmen“, fasste Kreuzer zusammen.
Im Anschluss präsentierte Silke Wulf (Universität Oldenburg) Augustins Werk „Über die Musik“ als einen Lösungsentwurf für das erkenntnistheoretische Problem des ästhetisch Schönen. Der Kirchenvater verwende in dieser Schrift ein geradezu neuzeitlich anmutendes „Modell auditiver Signalverarbeitung“. Demzufolge sei das musikalische Erlebnis nicht Ergebnis einer passiven oder reproduktiven Tätigkeit des Hörers, vielmehr sei dieser nach augustinischem Verständnis in einem Akt der Selbstreflexion durch freie Bewegung der Seele selbst produktiv tätig.
Mit der musikalischen Ästhetik des spätantiken römischen Philosophen Boëthius (zirka 475-524) eröffnete Anja Heilmann (Universität Jena) den Ausblick auf die mittelalterliche Rezeption der augustinischen Musiktheorie. In neuplatonischer Tradition habe Boëthius die Musiktheorie als „Wissenschaft von den Zahlenverhältnissen“ aufgefasst. Da er die Zahlen als „quantitative Chiffren“ für die göttliche Schöpfungsordnung ansah, habe er aus den in Tonintervallen wie Quinte oder Quarte enthaltenen Zahlverhältnissen Verweise auf die Ursprünge alles Geschaffenen abzuleiten vermocht.
Als Pendant zu den vielfältigen musiktheoretischen Ausführungen stand zum Abschluss eine musikpraktische Darbietung auf dem Programm. Unter Leitung von Gabriele Ziegler (Münsterschwarzach) präsentierte das aus der Domschule und der Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg hervorgegangene Ensemble für mittelalterliche Musik mehrere klangvolle Beispiele zur Wirkungsgeschichte der augustinischen Musiktheorie. Mit diesem Konzertelement erhielt der Studientag, der von der Fritz-Thyssen-Stiftung großzügig gefördert wurde, seine ganz besondere Note und – wie der begeisterte Applaus der Teilnehmer bewies – eine gelungene Abrundung.
Die Ergebnisse dieses 9. Augustinus-Studientags werden ebenso wie die vorausgehenden Tagungen in einem Band der wissenschaftlichen Reihe „Cassiciacum 39 = Res et Signa“ (Würzburg, Augustinus bei Echter) dokumentiert. Der 10. Augustinus-Studientag wird Ende September 2012 im größeren Rahmen eines internationalen Symposions am „Istituto Patristico Augustinianum“ in Rom stattfinden. Die Fachtagung steht unter dem brisanten Rahmenthema „Kampf oder Dialog? Begegnung von Kulturen in Augustins De civitate dei“. Weitere Informationen unter www.studientage.augustinus.de.
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