Volkersberg/Würzburg (POW) Schlagzeilen über Jugendliche und junge Erwachsene, die wegen Alkoholmissbrauchs ärztlich behandelt werden müssen, finden sich beinahe täglich in der Zeitung. Weil sich das Suchtproblem mit seinen unterschiedlichen Facetten auch in der katholischen Jugendarbeit stellt, hat sich die diesjährige Jugendseelsorgetagung der kirchlichen Jugendarbeit (kja) der Diözese Würzburg auf dem Volkersberg mit dem Thema „Leben – Sucht – Genuss“ auseinandergesetzt. Rund 130 kja-Verantwortliche, Seelsorger und Religionspädagogen diskutierten mit Fachleuten über Möglichkeiten der Prävention und Krisenbewältigung.
„Es ist wichtig, eine Sensibilität für die verschiedenen Arten von Suchtverhalten zu bekommen. Alkohol zum Beispiel ist ein Genussmittel, das nicht pauschal verteufelt werden darf. Wir dürfen aber – weit über die Vorgaben des Jugendschutzgesetzes hinaus – nie die Verantwortlichkeit beim Umgang mit Alkohol und Nikotin außer Betracht lassen“, sagte Diözesanjugendpfarrer Thomas Eschenbacher. Mitarbeitern in der kirchlichen Jugendarbeit komme hier eine besondere Vorbildfunktion zu.
Stephan Junghans, Kreisjugendpfleger im Landkreis Würzburg, berichtete, Jugendliche tränken im Schnitt mit 14 Jahren das erste Mal Alkohol. Es seien in Einzelfällen aber auch schon Jugendliche mit zwölf Jahren und darunter auffällig geworden. Bundesweit wurden 2006 nach Angaben Junghans‘ 19.500 Personen im Alter von zehn bis 20 Jahren aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär im Krankenhaus behandelt.
In seinem Impulsreferat ging Martin Heyn, Referent für Gesundheitsförderung am Gesundheitsamt Würzburg, auf die soziale und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ein. Für diese werde es immer schwerer, angesichts der Vielfältigkeit von Idealen, Idolen und Einflüssen der Werbung und Medien ihre eigene Identität zu finden. Auch die Eltern als primäre Erzieher sähen sich immer häufiger überfordert. Cliquen und die sogenannten Peergroups, also Gleichaltrige mit Vorbildcharakter, seien häufig bestimmend für das eigene Verhalten. Eindringlich appellierte Heyn daran, Werte und den Sinn im Leben wieder zu entdecken: „Die Sinnfindung sei ein wesentliches Element geistiger und auch körperlicher Gesundheit, verführt doch Sinnlosigkeit zur Sucht und damit zu physischen Beeinträchtigungen.“
Im Blick auf die Verantwortung des sozialen Umfelds verwies Heyn darauf, dass die Eltern Vorbild seien. Zwischen zwei und sechs Jahren versuche das Kind, sie zu imitieren. Danach verstärke sich die Neugier, das Konsumverhalten entwickle sich. In der Pubertät gewännen die Peergroups die Oberhand in der Erziehung. Mit rund 14 Jahren beginne der Jugendliche, den Konsum als Mittel der Identität, mit 18 als Mittel der Selbstdarstellung einzusetzen. Prägend und gleichzeitig gefährlich seien in dieser Phase die Werbemethoden der Wirtschaft mit ihren emotionalen Botschaften. Als Gesundheitsexperte wies Heyn auf die Risiken des Alkoholkonsums für die geistige Entwicklung hin. So bildeten sich mit neun Jahren wichtige Neuronenverbindungen im Gehirn, die in der Pubertät noch einmal eine Optimierung erführen. Drogenkonsum, also auch Alkohol, könne dann empfindliche Schäden anrichten – wie übrigens auch bei Embryonen in den ersten Schwangerschaftswochen.
Als erste Präventionsmaßnahme im Elternhaus empfahl Heyn, die Entwicklung der emotionalen Unabhängigkeit von den Eltern zu fördern. Außerdem sprach er sich prinzipiell dafür aus, auf Bewährungs- statt auf Bewahrungspädagogik zu setzen. Als Leitlinie gab er den Teilnehmern der Jugendseelsorgetagung die modifizierte Vaterunser-Bitte „…und führe uns in der Versuchung“ an die Hand. Es sei wichtig, Jugendliche bei ihren Erfahrungen zu begleiten, den Alkohol nicht absolut zu verbieten, nachdem fast jeder ihn zumindest in Maßen selbst als Genussmittel konsumiere. Sorgfältige Beobachtung des Trinkverhaltens sei jedoch wichtig, denn der Weg in die Sucht sei wie eine eingeseifte Rutsche: „Wenn aus Genuss regelmäßiger Konsum wird, ist der Missbrauch nicht weit.“
Wenn Probleme, Ängste, Komplexe oder Minderwertigkeitsgefühle hinzukämen, könne sich schnell eine Sucht als echte Abhängigkeitserkrankung entwickeln. Stichworte seien hier Arbeitslosigkeit oder das Leiden an sinnlosem Leben. Auf Anfragen aus dem Publikum ging Heyn auf das „Saufen am Wochenende“ ein, bei dem eine akute Gefährdung vorliege, wenn ein Kontrollverlust zu beobachten sei, die Betroffenen also nicht mehr vor dem besinnungslosen Rausch aufhören könnten. Für Heyn ergäben sich beim Alkoholkonsum außerdem Widersprüche in der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Komasaufen und der legalisierten „Massenintoxikation beim Oktoberfest“.
Heyn hielt schließlich seinem Publikum den Spiegel vor und konfrontierte die Teilnehmer mit der Aufforderung, den eigenen Alkoholkonsum und den Griff zu alkoholischen Getränken bei besonderen Anlässen kritisch zu hinterfragen. Außerdem legte er ihnen nahe, im pädagogischen Alltag mit den Kindern und Jugendlichen immer wieder das Gespräch über Sucht und ihre verschiedenen Formen zu suchen.
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