Würzburg/Erfurt (POW) „Für uns als Kirche war die Mauer nicht so hoch. Es gab immer wieder Schlupflöcher, die wir nutzen konnten.“ Das hat Dr. Georg Jelich, Generalvikar des Bistums Erfurt, 20 Jahre nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze bei einem Besuch in Würzburg berichtet. Den Umgang seiner Diözese mit der Nachfolgepartei von SED und PDS, „Die Linke“, beschrieb er als unverkrampft. „Wir pflegen keine Kontakte, aber wir reden miteinander“, sagte der Generalvikar. Jelich weilte zur ökumenischen Friedensdekade und zum Gedankenaustausch mit seinem Würzburger Amtskollegen Dr. Karl Hillenbrand in Unterfranken. „Wir sind Freunde geworden“, beschrieb er das Verhältnis zwischen den Bistümern Erfurt und Würzburg.
An den Tagen um den 9. November 1989 nahm Jelich an einer Generalvikars-Konferenz der ostdeutschen Bistümer in Leipzig teil. Nachdem sich die Nachricht von der Grenzöffnung dort verbreitete, sei die Tagung schnell nebensächlich geworden. „Was wollen wir denn jetzt eigentlich noch besprechen“, habe der allgemeine Tenor geheißen. Stattdessen habe man zusammen gefeiert, und dann sei jeder schnell nach Hause aufgebrochen. Nur Jelichs Fahrer hatte vom Mauerfall nichts mitbekommen. Als ihm der Generalvikar die freudige Botschaft überbrachte, sei der Mann regelrecht in einen Schockzustand gefallen. „Ich habe dann zu ihm gesagt: Sie setzen sich auf den Beifahrersitz, ich fahre!“, erzählte Jelich mit einem Lachen.
In der DDR sei Kirche „so etwas wie eine geschlossene Gesellschaft“ gewesen, erklärte Jelich. Einerseits habe die SED-Staatsführung versucht, die Kirchen kleinzuhalten, andererseits „wollten wir uns auch nicht vom Sozialismus vereinnahmen lassen“, sagte der Generalvikar. Religionsunterricht konnte so zu Zeiten des DDR-Regimes nur in kirchlichen Räumen und außerhalb der Schulzeiten stattfinden. Im Gegensatz zu den meisten DDR-Bürgern durfte Jelich das Land als Vertreter der Katholischen Kirche gelegentlich verlassen. Aus Prestigegründen habe es die Staatsführung einigen geistlichen Amtsträgern erlaubt, an internationalen Konferenzen teilzunehmen. Gesamtdeutsche Kongresse hätten dagegen nicht besucht werden dürfen. Jelich zeigte sich nicht überrascht, dass nach der Wende viele Katholiken in der thüringischen Landespolitik eine gewichtige Rolle spielten. „Innerkirchliche Kreise hatten mit Demokratie mehr Umgang, und ihre Vertreter galten nicht als Steigbügelhalter des alten Systems“, erläuterte er.
Vor dem Mauerfall war die katholische Kirche im Thüringer Raum durch das Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen vertreten. Territorial gehörte dieses Gebiet zu DDR-Zeiten weiterhin zu den westdeutschen Bistümern Fulda und Würzburg. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen im Juli 1994 zum Bistum Erfurt erhoben. Zum Bischof wurde Dr. Joachim Wanke ernannt, der auch heute noch an der Spitze der Diözese steht. Rund 158.000 Katholiken gehören dem Bistum Erfurt an. In der thüringischen Gesamtbevölkerung machen die Katholiken mit zirka acht Prozent nur einen kleinen Teil aus.
Jelich wies darauf hin, dass sein Bistum dieser Diaspora-Situation nicht mit Resignation, sondern mit Innovation begegne. So gebe es zahlreiche pastorale Angebote für Menschen, die keine oder nur eine schwache Anbindung an die Kirche hätten. Die vom Erfurter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke konzipierte „Feier der Lebenswende“ greift beispielsweise – ähnlich der katholischen Firmung – den Wunsch konfessionsloser Kinder nach einem Fest an der Schwelle zum Jugend- und Erwachsenenalter auf. Beim „Nächtlichen Weihnachtslob“ lädt der Bischof an Heiligabend Menschen außerhalb der Kirche in den Erfurter Dom zum Singen von Weihnachtsliedern ein. Dabei halte er eine Weihnachtspredigt mit deutlichen Bezügen zu der Lebens- und Erfahrungswelt der Besucher und erteile den Segen. „Diese Veranstaltungen sind ein Trittbrett für Nichtchristen, auf das man aufspringen kann, aber nicht muss“, erklärte Jelich den Hintergrund dieser Angebote.
Darüber hinaus stehe das Bistum Erfurt in ständigem Austausch mit den gesellschaftlichen Gruppierungen Thüringens. Beim traditionellen Elisabeth-Empfang begegnet Bischof Wanke den Politikern des Landes. Auch gegenüber der Linkspartei, die bei den thüringischen Landtagswahlen im August 27,4 Prozent der Wählerstimmen erzielte, habe man alte Berührungsängste abgelegt. „Wir wollen ihr nicht zu politischer Macht verhelfen, trotzdem ist sie ein Gesprächspartner“, sagte Jelich. Und obwohl die Partei in ihrem Programm die Kirchensteuer ablehne, würden einzelne Parteivertreter vor Ort – angesichts des sozialen Engagements der Kirche – sich durchaus dafür aussprechen.
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