Bad Kissingen (POW) Acht Pfarreiengemeinschaften und zwei Einzelpfarreien mit insgesamt rund 44.500 Katholiken bilden künftig das Dekanat Bad Kissingen. In folgendem Interview spricht Dekan Thomas Keßler (Bad Kissingen) über den aktuellen Stand der Errichtung von Pfarreiengemeinschaften im Dekanat Bad Kissingen, über das Zusammenwachsen der Seelsorgeeinheiten und über Kleine Christliche Gemeinschaften.
POW: Wie würden Sie den aktuellen Stand des Prozesses der Errichtung von Pfarreiengemeinschaften im Dekanat Bad Kissingen umschreiben?
Dekan Thomas Keßler: Wir sind alle in der Zielgeraden. Bis zum ersten Fastensonntag 2010 dürften alle Pfarreiengemeinschaften errichtet sein. Bei der Pfarreiengemeinschaft Heiliges Kreuz/Bad Bocklet haben wir eine Sondersituation. Diese Pfarreiengemeinschaft gehört zu den zuerst errichteten in der Diözese. Die Gemeinden wurden durch das Ordinariat bei einem Pfarrerwechsel zu einer Pfarreiengemeinschaft erklärt. Jetzt arbeiten wir die Kooperationsvereinbarung nachträglich aus.
POW: Wo liegen die besonderen Probleme, wo die besonderen Chancen in Ihrem Dekanat?
Keßler: Unser Dekanat ist ländlich geprägt. In den einzelnen Pfarrgemeinden mit ihren Filialen gibt es – Gott sei Dank – weithin noch eine große Identifikation mit der örtlichen Gemeinde. Dieses Eigenleben zu erhalten, sogar zu stärken und dabei den Blick füreinander zu wecken oder zu fördern, darin liegt meines Erachtens die große Herausforderung. Es braucht den positiven Blick über den Schatten des eigenen Kirchturms hinaus auf die Pfarreiengemeinschaft. Diese neue Identität muss in weiten Bereichen erst noch gefunden und entwickelt werden. Wir sind in einer Zeit des Übergangs. Ich habe großes Verständnis dafür, dass sich viele Christen, denen ihre Gemeinde am Herzen liegt, mit der neuen Situation schwer tun. Ich werbe aber auch immer wieder dafür, diese Situation anzunehmen und sie als für die weitere Zukunft nicht änderbar zu begreifen. Sonst würden wir den Menschen Sand in die Augen streuen. Es gibt ermutigende Beispiele, wo das Miteinander sich gut entwickelt; wo die Erfahrung gemacht wird, dass es geht, dass niemand über den Tisch gezogen wird und sich alle – die Seelsorger und Seelsorgerinnen gemeinsam mit den Gremien – um Lösungen bemühen. Da ist dann der Dampf raus. Die Pfarrer und ihre Pastoralteams dürfen in diesem Prozess nicht von den Erwartungen aus den Gemeinden zerrieben werden. Da braucht es gegebenenfalls auch Rückendeckung von Seiten der Diözesanleitung. Wir haben auf Dekanatsebene – die Seelsorgerkonferenz (Dies) und der Dekanatsrat – eine Vereinbarung getroffen, die auch in den Pfarrgemeinderäten diskutiert wurde und die Fragen der Gottesdienste an den Samstagen, Sonntagen und den Feiertagen regelt. Darin liegt eine große Chance der liturgischen Absprachen in einem Dekanat angesichts der neuen Situation – wenn sich auch wirklich alle daran halten.
POW: Im Dekanat gibt es sehr große Pfarreiengemeinschaften mit zahlreichen kleinen Gemeinden, zum Beispiel Burkardroth. Wie kann ein Zusammenwachsen solcher Einheiten gelingen?
Keßler: Sie nennen Burkardroth als Beispiel. Ich habe daraufhin bei Pfarrer Lux nachgefragt und bekam die Antwort, die ich auch immer wieder Gott sei Dank aus den Gemeinden höre: Es herrscht inzwischen weithin eine spürbare Zufriedenheit. Eine Hilfe dabei ist, dass die Orte nicht zu klein sind und kompakt zusammenliegen. Bei gemeinsamen Veranstaltungen wie Ministrantentag, Senioreneinkehrtag und Besinnungswochenenden auf Pfarreiengemeinschaftsebene finden die Christen zunehmend zueinander. Es liegt aber auch hier noch ein Weg vor den Gemeinden, bis alle Gemeindemitglieder diese Veränderungen angenommen haben. Hier zeigt es sich aber auch erfreulich, wie hilfreich es ist, wenn ein Pfarrer in guter Weise Leitung wahrnimmt und mit seinem Team die Menschen bei dieser großen Umstellung einfühlsam begleitet.
POW: Wie kann sich eine Zusammenarbeit einer Stadtgemeinde wie Bad Kissingen mit den kleineren Umlandgemeinden positiv entwickeln?
Keßler: Die Herz-Jesu-Pfarrei in der Kernstadt von Bad Kissingen ist tatsächlich eine Schwerpunktpfarrei. Das merken wir an der Zusammensetzung der Gottesdienstgemeinden. Auch am Werktag feiern Christen aus den umliegenden Gemeinden die Gottesdienste mit. Am Sonntag kommen noch zahlreiche Gäste hinzu. Auch im übrigen Gemeindeleben engagieren sich Menschen aus den umliegenden Gemeinden. In der Stadt ist aber die Anonymität größer und auch manche Dinge sind viel schwerer zu organisieren wie in den mehr ländlichen Umlandgemeinden, wo es viel mehr „Netzwerke“ gibt, die funktionieren. Für viele Pfarrgemeinderats- und Kirchenverwaltungsmitglieder und für mich persönlich waren die Beratungen und das Ringen um die Kooperationsvereinbarung für die Pfarreiengemeinschaft ein ermutigendes Beispiel: Es war ein ernsthaftes Bemühen zu spüren, sich gegenseitig ernst zu nehmen und aufeinander zu hören. Es ist sicher für manchen städtischen Christenmenschen ein Lernprozess, dass man mit den anderen Gemeinden in einem Boot sitzt und man nicht allein den Ruderschlag angibt; das gilt aber sicher auch für die Christen in den anderen Gemeinden der zukünftigen Pfarreiengemeinschaft. Mit diesem Sich-gegenseitig-ernst-nehmen und der geistlichen Annäherung an das Bekenntnis im Namen der Pfarreiengemeinschaft, dass Jesus die Quelle des Lebens ist, wird es hoffentlich auch weiterhin gut gehen.
POW: In Bad Kissingen gibt es die Pastoral der Kleinen Christlichen Gemeinschaften. Liegt hierin eine bedeutende Zukunftsperspektive für die Seelsorge?
Keßler: Ich selbst kenne die Pastoral der Kleinen Christlichen Gemeinschaften seit 1987, als Rudolf Hirmer bei Missio in München diese Form des Kirche-Seins vorstellte. Seitdem lässt mich dieser pastorale Impuls nicht mehr los. Gerade in den immer größer werdenden seelsorglichen Räumen braucht es solche Glaubenszellen. Das sind dann Gemeinden, die von Laien geleitet werden können innerhalb der rechtlichen Struktur einer Pfarrei, der der Pfarrer vorsteht. Für mich ist der Knackpunkt, dass sich die Christen, die sich in diesen Gemeinschaften um das Wort Gottes versammeln, auch als Kirche begreifen und sich mit ihrer Gemeinschaft in den Dienst der Pfarrei stellen. Auf Dauer wäre es zu wenig, wenn sie allein zur eigenen geistlichen Erbauung zusammenkämen oder sich als kleine Glaubensgemeinschaft neben der „Großkirche“ verstehen würden. Auch die Verbindung zur Eucharistiegemeinde und damit zum Gesamt der Kirche vor Ort muss ein Merkmal der Kleinen Christlichen Gemeinschaften bleiben. Im Auftrag unseres Bischofs hat eine Arbeitsgruppe solche Merkmale für die Kleinen Christlichen Gemeinschaften in unserem seelsorglichen und gesellschaftlichen Zusammenhang beschrieben. Wenn diese Punkte – wie oben erwähnt – im Blick sind, dann gehen wir einen guten Weg. Spannend ist die Frage, wie sich ein Pfarrgemeinderat oder auch ein Koordinationsausschuss in einer Pfarreiengemeinschaft darstellt, wenn diese Vision von Pfarrei, die auch in solchen Gemeinschaften lebt, immer mehr Wirklichkeit wird. Die Vertreter dieser Kleinen Christlichen Gemeinschaften mit ihren verschiedenen Aufgaben müssten dann auch als Träger der Seelsorge präsent sein. Es wäre nicht gut, wenn ein Pfarrer oder Pfarrgemeinderat sie nebenher laufen ließe.
POW: Welche Rolle spielen die Ordensgemeinschaften in den künftigen Strukturen im Dekanat Bad Kissingen?
Keßler: Wir haben in unserem Dekanat noch eine große Vielfalt an Ordensgemeinschaften, die Sankt Josefskongregation der Franziskanerinnen von Ursberg in Maria Bildhausen, die Missionshelferinnen und die Elisabethinerinnen in Bad Kissingen. In das Dekanat hinein wirken besonders die Augustiner in Münnerstadt durch die Jugendarbeit. Sie unterhalten seit 25 Jahren das Jugendhaus am Dicken Turm. Hier hat die Jugendseelsorge für den ganzen Landkreis eine Heimat gefunden, für die wir nur dankbar sein können. Neben Bad Bocklet wirken die Schwestern des Erlösers im Haus Maria Amalie und im Haus Wirbelwind in Bad Kissingen. Die Familienseelsorge unseres Dekanats ist hier angesiedelt. Zusammen mit den Schwestern haben wir in einer Dekanatsarbeitsgruppe ein Konzept für ein „geistliches Zentrum Haus Wirbelwind“ entwickelt, das die Impulse aus dem Jahr der Berufung im Dekanat weiterführen soll. Dieses Konzept haben wir auch unserem Bischof vorgestellt, der unser Anliegen mitträgt. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger im Dekanat hoffen, dass die Ordensleitung endgültig „grünes Licht“ hierzu und für den Fortbestand der Gemeinschaft und ihrer Arbeit in unserer Stadt gibt. Wir brauchen das geistliche Wirken der Schwestern im Haus Wirbelwind für die Seelsorge in unserem Raum und darüber hinaus in der ganzen Diözese.
POW: Wie wirken territoriale und kategoriale Seelsorge im Dekanat zusammen?
Keßler: Bei der Familienseelsorge und in der Jugendarbeit haben wir eine gute Verzahnung erreicht. Die Kur-und Gästeseelsorge ist natürlich auf Bad Kissingen und Bad Bocklet konzentriert. Im „Kontaktpunkt“ in der Kissinger Ludwigstraße, der auch die Kur- und Gästeseelsorge beherbergt, arbeiten Ehrenamtliche aus der ganzen Region mit. Gerade im diakonischen Bereich sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas zum Beispiel in den Sozialstationen das „sehende Auge“ der Kirche für die körperlichen und seelischen Nöte der Menschen. So müssen sie sich aber auch selbst verstehen und in den Gemeinden so wahrgenommen und verstanden werden. Dieses Miteinander bleibt eine Aufgabe.
POW: Was möchten Sie am ersten Fastensonntag 2010 mit Blick auf das Dekanat Bad Kissingen sagen können?
Keßler: Das Erreichen der Ziellinie im Blick auf die Errichtung der Pfarreiengemeinschaften ist das Eine. Ich bin froh, wenn das Ringen um die Struktur der Seelsorgeeinheiten geschafft ist. So wichtig das alles ist, wir brauchen jetzt den freien Blick auf die Mitte hin, auf die Frage: Wie können wir heute unser Christsein leben und wie können wir Christus zu den Menschen bringen. Unsere missionarische Situation braucht auch Seelsorgerinnen und Seelsorger und Frauen und Männer in den Gemeinden, die das wahrnehmen können und miteinander danach suchen, wie Christus heute verkündigt werden kann. Dafür brauchen sie aber auch die Zeit und die Kraft aus dem Gebet und das Hinhören auf die leise Stimme Gottes. Ich hoffe, dass dieser spirituelle und konzeptionelle Freiraum jetzt wieder leichter geschaffen werden kann.
(3909/1054; E-Mail voraus)
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